Münchner Biennale:Figo geht ins Volksbad

Lesezeit: 2 min

Münchens Musiktheaterbiennale sucht den Crash mit der Realität. Die beiden neuen Biennale-Macher Daniel Ott und Manos Tsangaris stellen ein handfest und spannend wirkendes Programm vor.

Von Reinhard J. Brembeck

"The future is stupid", hat ein offenkundig wenig zukunftsaffiner Zeitgenosse an den Eingang des Münchner Muffatwerks gesprayt, der beliebten Poppartyhalle an der Isar. Doch demnächst soll die Muffathalle Zentrum einer durchaus nicht blöden und zudem ganz anderen Zukunft sein. Der Komponist Hans Werner Henze hatte das ehemalige Kraftwerk einst für seine 1988 erstmals abgehaltene Musiktheaterbiennale umrüsten lassen, ein weltweit einmaliges Uraufführungsfestival, das jungen Komponisten ein Forum bietet. Mittlerweile hat Henzes Nachfolger Peter Ruzicka sein Amt abgegeben, und jetzt präsentierten, natürlich im Muffatwerk, die neuen Biennalesatrapen Daniel Ott und Manos Tsangaris ihr erstes Programm, das am 28. Mai 2016 startet - die Details kann jeder unter www.muenchenerbiennale.de nachlesen.

Ott & Tsangaris, beides ausgewiesene Experimentalkomponisten und Hochschullehrer, gehen ihre Sache mehr als nur ehrgeizig oder gar bescheiden an, bieten sie doch an neun Tagen hintereinander vierzehn Uraufführungen. Ziel sei es, so der listenreich wie Odysseus seine Absichten verklausulierende Tsangaris, dass die Besucher nach fünf Tagen "erschöpft und erbaut" keine weitere Uraufführung mehr über sich ergehen lassen können. Damit nähert sich die Biennale wieder ihren Anfangseditionen, wo der Input an Stücken und Klängen derart hart getaktet war, so dass selbst hart gesottene Musikfans danach nur eins suchten: die Stille.

Aber auch von der Künstlerauswahl her kommen Henzes Absichten wieder radikal zu Ehren: Tsangaris / Ott sind zwar schon beide über 50 Jahre alt, doch ihre Protégés sind zwischen 25 und 35. Die neuen Biennalisten haben die Jugend zu Treffs eingeladen, wo sich mehr oder minder freiwillig Paarungen ergeben haben, in denen nicht der Komponist der Anführer ist, sondern, das ist Konzept, in denen sich Komponisten, Musiker, Bühnenmenschen, bildende Künstler zusammenraufen müssen. Das meint ein Teamwork von Spezialisten, wie es mittlerweile in vielen Bereichen üblich ist, während die herkömmlichen Opernhäuser in der Regel noch auf einem streng arbeitsteiligen Konzept bestehen. Auf jeden Fall verspricht dieser neue Ansatz alles andere als Erwartbarkeit.

Nur einer der Biennale-Teilnehmer ist deutlich älter. Der 1945 in Athen geborene und als Jugendlicher mit seiner Familie nach Paris exilierte Allrounder Georges Aperghis ist die Leitfigur fürs poetisch experimentelle Musiktheater jenseits der großen Institutionen. Aperghis ist ein Kammermusiker, der mit jedem Ton die Bühne sucht, dem eine nur Nonsenssilben produzierende Sopranstimme genügt, um dem Theatergänger seine persönliche und durchaus unheilvolle Verstrickung in die Welt lustvoll vorzuführen.

Tsangaris beharrt auf der entscheidenden Rolle der Musik fürs Musiktheater. Zumal heute fast überall in der Gesellschaft, vom Werbefachmann bis zum Computerprogrammierer, Komponisten am Werk seien, die aber nicht so genannt werden. Die Vielstimmigkeit, einst die große Errungenschaft und seither Alleinstellungsmerkmal der Klassik gegenüber allen anderen Musikformen, würde gerade heute die Musik dazu prädestinieren, Spiegel, Reflexion und Weiterdenken gesellschaftlicher Positionen zu bewerkstelligen.

"Eroberung des Nutzlosen" - das wäre als Motto für dieses Festival ideal

Was Tsangaris da sympathisch lächelnd in den Raum hineinphilosophiert, findet sein sinnliches Pendant im Eröffnungsstück "Sweat of the Sun", das auf Werner Herzogs Tagebuch "Eroberung des Nutzlosen" basiert. Letzterer Titel wäre sicher ein ideales Festivalmotto gewesen. Aber so anschaulich provokant verspielt will man sich nicht geben, also heißt das Ganze jetzt "OmU". Was pädagogisch wertvoll zur Reflexion anregt, leicht Abwehrreflexe produziert, und wohl auch dazu geführt hat, dass der Festivalfolder vor Abkürzungen überquillt. "SotS" ist das erwähnte Herzog-Paraphrase, "H" steht für eine chinesische Parabel, "P-R" für das Aperghis-Projekt, der mit einem rätoromanischen Schriftsteller kollaboriert, mit "Figo" geht das Volkstheater samt dem Münchner Knabenchor ins Volksbad und "SatB" verspricht "Miniperformances im öffentlichen Raum".

Das Programm jedenfalls wirkt handfest spannender als die dahinter stehenden guten Theorieabsichten, und die "future", die es verkündet, ist ganz sicher nicht "stupid".

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: