Monografie:Weiße Wunden im Blau

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(Foto: N/A)

Der sieben Kilo schwere Bildband "Surfing" erzählt die Geschichte des Wellenreitens von den Anfängen auf Hawaii bis zu den kalifornischen Surfer-Boys von heute.

Von Hannes Vollmuth

Der Bildband "Surfing" ist ziemlich schwer. Wahrscheinlich hat ihn der Taschen-Verlag deshalb in eine Box gepackt und einen Tragegriff drangemacht. Man kann den Band nun wie einen Aktenkoffer durch die Gegend schleppen, wie einen 7-Kilo-Aktenkoffer wohlgemerkt. Aber an den Strand wird man diesen Bild-Aktenkoffer nicht mitnehmen wollen. Macht nichts. "Surfing" ist sowieso eher ein Buch für graue Wintertage. Wenn mal gerade kein Strand zur Verfügung steht.

Jim Heimann, der Macher dieser - das muss man jetzt einfach sagen - Bibel von einem Surferbuch, schreibt im Vorwort: "Was einem das Surfen gibt, ist in etwas so Greifbarem und Handfestem wie einem Buch nicht wiederzugeben." Der Versuch, den Heimann trotzdem unternommen hat, kann sich jedoch sehen lassen. Er hat mit enzyklopädischem Fleiß alles zusammengetragen, was es zum Surfen zu sagen, vor allem aber zu zeigen gibt.

Man kann mit diesem Buch gut durch 240 Jahre Surf-Geschichte gleiten und man lernt sogar einiges dabei. Zum Beispiel, dass alles 1778 mit der surfenden Urbevölkerung von Hawaii begann - so sieht man es auf Holzstichen, lange bevor die Surfkultur in Kalifornien entstanden ist. Und wer hätte gedacht, dass mit dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 diese kalifornische Surfkultur fast wieder zum Erliegen kam, weil sich fast alle Surfer-Boys zur Army meldeten. Auch die "Surf Nazis" kommen vor, noch so eine Geschichtskuriosität. Die "Surf Nazis", das war in den Sechzigerjahren eine Gruppe von Surf-Extremisten mit aufgemalter Swastika auf dem Brett, natürlich nur, um die Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen, und damit das ein oder andere Elternteil in Ohnmacht fiel.

Wie wenig andere Sportarten lebt das Surfen ja von der beneidenswerten Mischung aus sommerlicher Lässigkeit und urwüchsiger Naturkraft des Meeres. Eben lagen sie noch mit ihren Strandkörpern im warmen Sand und im nächsten Moment reiten sie da draußen die Welle, mit einem Ausdruck von Versunkenheit im Gesicht. Surfen ist Rausch, das ist die Botschaft des Bildbands. Deswegen werden auch nicht die üblichen Katalogbilder gezeigt, sondern grobkörnige Zeitdokumente, viele sogar - untypisch für die Sportart - in Schwarz-Weiß.

Ein junger Mann hebt sein Brett vom Auto, er schaut in die Kamera, seinen nachtschwarzen Surfanzug hat er bereits an, die Kapuze über den Kopf gezogen, sodass nur noch ein Haarbüschel rausschaut. Dieser Kerl will jetzt raus aufs Meer, auch wenn er mit den Füßen im Schnee steht, die Heckscheibe des Autos eingefroren ist und nur der eiskalte, den Kältetod bringende Atlantik wartet: Winter 1983, irgendwo an der Küste von New Jersey.

Oder die Superwelle, die wie eine Wand vor dem Himmel steht. Zwei Surfer gleiten an ihr hinab, die Bretter reißen gischtweiße Wunden ins Blau. Ein Dritter ist im freien Fall begriffen, ein Vierter schon abgetaucht. Und dann, ein paar Seiten später, ein stiller Fotomoment der Erschöpfung: Ein Surfer lehnt an seinem Brett, und es wirkt kein bisschen lächerlich.

Jim Heimann: Surfing, 1778 - 2015. Taschen, Köln 2016, 592 Seiten, 150 Euro.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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