Monografie:Balgen um den Ball

Lesezeit: 2 min

Ein Jubiläums-Band über die Meisterschaft 1966 schildert, wie der TSV 1860 München zur Legende wurde - und wie sich der Fußball seither verändert hat - nicht nur, weil es damals in der Bundesliga noch keine Winterpause gab.

Von Rudolf Neumaier

Die Fußbälle, das lässt sich bestens bei Champions-League-Übertragungen beobachten, zischen heute wie Flipperkugeln über den Platz - wie Flipperkugeln aus Zelluloid. Der Kick selbst wirkt wie ein Videospiel: Die Männer auf dem Platz sind nicht mehr nur gut getrimmt, sie sind exakt programmiert. Manche, ein gewisser Ronaldo etwa, bewegen sich sogar wie Roboter. Ihre Programmierer, die Trainer, sprechen ja tatsächlich von Systemen, welche wiederum auf Philosophien beruhten. Philosophien! Im Fußball! Mitunter bietet dieser aufgeblasene Fußball von heute zwar recht gute Unterhaltung, aber Spektakel konnten die Kicker schon veranstalten, als die Stehplatzkarte bei einem Bundesliga-Topspiel noch 2,90 Mark kostete, die Bälle schwer wie Kanonenkugeln über den Platz flogen und das Spiel noch mehr nach einem jugendlichen Balgen um den Ball als nach Philosophien ausschaute.

Vor genau fünfzig Jahren wurde der TSV 1860 München deutscher Meister. Aus diesem Anlass haben Claus Melchior, Roman Beer und Arnold Lemke ein Meisterschafts-Werk geschrieben, das nur wegen des Titels "Der Triumph der Löwen" nach Jubiläumsbroschüre klingt. In Wahrheit sind Sentimentalitäten allenfalls zwischen den Zeilen und Ergebnissen versteckt, denn das Autorengespann aus einem Buchhändler und zwei Architekten hat so gewissenhaft in alten Zeitungen recherchiert, wie man das sonst nur von Historikern kennt. So bemerken sie zum Beispiel beiläufig, dass die Profis damals gleich auf der Rückfahrt am Tag nach einem Bundesliga-Auftritt zu Freundschaftsspielen antanzen mussten - eine wichtige Einnahmequelle, als es noch keine Fernsehmillionen gab. Die Texte dieser Chronik sind sehr nüchtern geschrieben. Und dennoch blüht bei der Lektüre die Nostalgie.

Das Vereinswappen der Löwen, des TSV 1860 München. (Foto: dpa)

In dieser Zeit trat man Reisen zu Europapokal-Spielen auch mal mit nur zwölf Mann an. Weil er "das Fliegen schlecht vertrug", wurde der Spieler Heiß vom Trip nach Izmir dispensiert. Am Samstag darauf gegen Borussia Neunkirchen war er umso agiler und schoss beim 4:1 zwei Tore.

Spieltag für Spieltag, vom ersten bis zum 34., beschreiben die Autoren jedes einzelne Löwenspiel.

München war damals die Fußballstadt Nummer eins in Deutschland. Bei den Lokalrivalen der Löwen, den Bayern, kickten schon Müller und Beckenbauer. Die Löwen aber hatten Petar Radenković, Fredi Heiß, Rudi Brunnenmeier, Željko Perušić, Peter Grosser, Friedhelm Konietzka, Otto Luttrop, Wilfried Kohlars, Manfred Wagner, Hansi Reich und Bernd Patzke - diese und die restlichen Namen kann so mancher der immer noch zahlreichen Sechzig-Fans aufsagen wie das Vaterunser. Vor allem hatten die Sechziger einen ausgefuchsten Trainer: Max Merkel, einen selbstgerechten und wegen seines Sarkasmus berüchtigten Österreicher. Später schrieb er Kommentare in der Bild-Zeitung.

Immer wieder flammen Diskussionen über seine brachialen Trainingsmethoden auf. Denn allzu oft wirkte seine Truppe schlapp. Merkel tat die Kritik ab: "Wer keine Stimme hat, darf nicht an der Oper singen wollen." Den unermüdlichen Mittelfeldmotor Perušić nannte er Hendl. Und nach einer Derby-Schlappe gegen die Bayern bezeichnete er sein gesamtes Personal als "Hausmeister". Dieses Spiel fand am 8. Januar auf einer Schneepiste statt - so etwas wie eine Winterpause kannte die Bundesliga noch nicht. Mit 40 000 Zuschauern war es nicht ausverkauft.

Max Merkel, Petar "Radi" Radenković und weitere Löwen-Helden als Transparent: Löwen-Fans erinnern an die Meisterschaft von 1966. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Überhaupt fällt auf, dass sich der Anhang im Titelrennen des Jahres 1966 noch vergleichsweise gleichmütig verhielt: Zum vorletzten Heimspiel gegen Mönchengladbach, als 1860 punktgleich mit Dortmund an der Spitze konkurrierte, war mit 22 000 nur das halbe Grünwalder Stadion voll. Die Meisterfeier geriet dann aber zu einem Event: Trotz Regens säumten Tausende die Straßen beim Autokorso der Sieger. Es war die Krönung einer Saison, die den TSV 1860 zu einem Fußball-Mythos machte. Am kommenden Sonntag spielen die Löwen gegen Paderborn um den Klassenerhalt in der zweiten Liga. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn nicht mehr als 40 000 kommen. Die Mannschaft wirkt relativ unprogrammiert, aber zuletzt hat sie sich zweimal siegreich um den Ball gebalgt.

Roman Beer, Arnold Lemke, Claus Melchior: Der Triumph der Löwen. Die Meisterschaft 1966 des TSV München von 1860. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2016. 130 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 02.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: