Möbel:Geheimdesign

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Bislang gilt Skandinavien als Ursprungsland kühler, minimalistischer Entwürfe. Doch jetzt entdeckt man Einzelgänger wie Orla Høyer. Der designte im Nebenberuf auch Filmdrachen.

Von Alexander Hosch

Diese Möbel hat ein Phantom namens Orla Høyer entworfen. Selbst die Spezialisten des auf skandinavische Preziosen spezialisierten Auktionshauses Bruun Rasmussen hatten vorher nie von ihm gehört. Und sie hatten so etwas, made in Kopenhagen, auch noch nicht gesehen: Eine mondäne Liege, eine Vitrine und ein Schubladenschrank mit Sinuskurven aus Metall, dazu zwei Sideboards mit voluminösen Messingbeschlägen (Taxen zwischen 4000 und 13 500 Euro). Nordic Art Deco Furniture nennt man bei Rasmussen nun die zugehörige Auktion. Das klingt wie "viktorianischer Minimalismus", wie ein Widerspruch in sich - etwas, das es nicht geben kann. Gibt es aber doch: Es ist ein sehr schönes Neuland, das da jetzt in Kopenhagen wiederentdeckt wird.

Der Stil heißt zwischen Malmö, Stockholm und Göteborg meist Swedish Grace

"Bislang war kein Designer namens Orla Høyer bekannt", bestätigt Peter Kjelgaard Jensen, der Chef des Design-Departments und ein Spezialist für skandinavische Möbel und dekorative Kunst des 20. Jahrhunderts. Wenn man den Namen googelt, findet man nur den Architekten für ein altes Projekt der Tuborg-Brauerei - und den Hinweis, dass jemand mit diesem Namen Ende der Fünfzigerjahre mal eine Drachenfigur gebastelt hat. Für den einzigen dänischen Film, der je versuchte, mit amerikanischer und japanischer Science-Fiction-Monster-Ware zu konkurrieren, "Reptilicus". Am Ende wird darin ein Stadtteil von Kopenhagen niedergetrampelt. Doch der Autor des Filmlexikons ist nicht sicher, ob die Entwürfe von Høyer - er fertigte eine kleine Puppe, die einem chinesischen Drachen ähnelte, und das Zehn-Meter-Modell einer Riesenechse - überhaupt je zum Einsatz kamen.

Aber kann man sicher sein, dass er das war? Oder ist Orla Høyer ein Pseudonym? Das schließt Kjelgaard aus. Er hat selbst recherchiert und einen Theaterbühnen-Konstrukteur und Filmausstatter gefunden. Ob es derselbe Mann ist, der 1941 eine Rechnung des Möbelproduzenten Herluf Sørensen erhielt, für genau die Stücke, die das Auktionshaus nun versteigert, ist nicht zu belegen. Der Einlieferer hatte das Schreiben und die Entwurfskizzen mitgebracht. Mit den Möbeln hatte Høyer ein Jahrhundertwendehaus in der Kopenhagener Villengegend "Die Seen" ausgestattet. Da hatte - mitten im Zweiten Weltkrieg - wohl jemand Lust auf Ablenkung und etwas Möbel-Kino.

Nordisches Art-déco ist in der Tat ein Begriff, der verglichen mit nordischer Klarheit oder nordischer Strenge im Möbelsektor sehr selten fällt. Auch skandinavische Kurveneleganz sieht in der Regel eher wie Alvar Aaltos nüchterner Paimio-Sessel statt wie französische Vorbilder aus den Zwanziger- bis Vierzigerjahren aus. Und dänisches Art-déco kennt man vor allem von dekorativen Stücken aus Glas, Silber und Keramik. Der Silberschmied Georg Jensen (ebenfalls bei der Auktion vertreten) ist einer, der in dieses Feld gehört. Er gründete seine Firma 1914 in Kopenhagen, zehn Jahre später hatte er schon eine große Dependance an der Fifth Avenue. 1925 gewann er auf der Pariser "Exposition internationale des Arts décoratifs et industriels modernes", die dem Art-déco den Namen gab, dafür Preise.

In Schweden wurde die Idee des Art-déco häufig mit Neoklassizismus vermengt. Der Stil hatte dort nach der Stockholm Exhibition von 1930 seine Glanzzeit und heißt zwischen Malmö, Stockholm und Göteborg meist Swedish Grace, wie das berühmte Porzellan-Service von Rörstrand. Simon Gate und Edward Hald wiederum schufen für die Glasmanufaktur Orrefors die dramatische Graal-Technik sowie neo-antike Figurenvasen mit Gravuren. Auch die Möbel von Axel Einar Hjorth, der zwischen 1927 und 1937 als Chefdesigner des Stockholmer Luxusmöbelkaufhauses Nordiska Kompaniet eine fetischhafte, nur mit ein paar Schlenkern Exzentrizität gewürzte Schlichtheit zelebrierte, gelten als Nordic Art Deco.

Wie passt da Orla Høyer hinein? So schillernd, so glitzernd kannte man skandinavische Möbel bis jetzt nicht. "Wir können die Umrisse des Nordic Art Deco oft nicht so genau ziehen, wie wir es gerne möchten", erklärt Kjelgaard. "In Dänemark werden oft Möbel aus der Zeit so genannt, die flamboyant wirken und irgendwie neureich", fügt er mit einem Lachen an. "Høyers Chaiselongue hat ja geradezu Hollywood-Touch." Mit der hervortretenden Messing-Verschraubung und dem eleganten Wellenleder sieht sie wie ein hübsch gepolstertes Dinosaurier-Rückgrat aus.

Schränke und Vitrinen sollten einfach teurer aussehen als die Möbel in der Nachbarschaft

Was ist für ihn das Spezielle an den Høyer-Möbeln? "Dass sie so undänisch sind. Besonders die starke Betonung der Messing-Details. Andererseits ist die Holzarbeit weniger exquisit, als man das von Wegner oder anderen dänischen Designern um 1940 kennt. Aber darum ging es hier gar nicht." Der Architekt, der diese Möbel als Unikate anfertigen ließ, bediente einen Bedarf an Luxus - nicht an Strenge. "Die Vitrine, die Schränke und die Sideboards sollten einfach größer und teurer aussehen als vergleichbare Möbel in der Nachbarschaft", mutmaßt Kjelgaard. Das dürfte gelungen sein. "Es gibt eben immer auch das andere", sagt Kjelgaard. "Die Welt ist reich an Dingen, die man so nicht erwartet."

In der Versteigerung bietet Bruun Rasmussen noch rund 200 andere Möbelstücke von dänischen und schwedischen Designern an, auch von einigen Finnen. Kay Fisker, der 1925 in Paris den dänischen Pavillon mit voluminösen Lampen und Wandelementen gestaltete, ist dabei, aber auch Aage Rafn, Ernst Kühn, Bent Helweg-Møller, Kaj Gottlob, Axel Salto, Vilhelm Lauritzen. Nicht alle jedoch sind so nahe an der Dekoration. Die teuersten Stücke sind Klassiker aus den goldenen Jahren des dänischen Designs und sollen mit guten Preisen für Furore sorgen: wie Finn Juhls Chieftain-Sessel, Poul Kjærholms Sofa PK 26 oder Poul Henningsen American Table Lamp von 1928 (Taxe 30 000 bis 40 000 Euro). Aber wer war nun Orla Høyer? Ein Film-Bühnenbildner? Ein Künstler? Ein Architekt? Ein Designer? Weitere Entwürfe, die als Zeichnungen erhalten sind, gelten als verschwunden. Fürs Erste bleibt er also ein exzentrisches Rätsel. Es würde sich lohnen, nach diesem Mann zu forschen.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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