Mode:Der Seidenschal

Hermès huldigt Roland Barthes mit einem Seidenschal - das ist symptomatisch für dessen Wahrnehmung heute.

Von Joseph Haniman

Für seine Winterkollektion 2015 hat das Modehaus Hermès in seiner berühmten Serie der "Carrés" einen Seidenschal mit dem Aufdruck sämtlicher Seiten der "Fragmente einer Sprache der Liebe" herausgebracht. Der Text schmiegt sich an unseren Körper "in Erwartung eines Ich, das ihn trägt", schreibt die Philosophin Danièle Cohn dazu. Das wirkt sanfter und weicher als die Schemen der Semiologie, mit denen Roland Barthes auch hantierte. Und es ist symptomatisch für dessen Wahrnehmung heute in Frankreich.

Den in diesem Jahr über ihn erschienenen Büchern von Philippe Sollers, Chantal Thomas, Antoine Compagnon, Laurent Binet nach zu schließen, steht Roland Barthes mehr für eine Erinnerung an menschliche Nähe, persönliche Anekdoten, den körnigen Klang einer Stimme und eine "nach dem gemeinsamen Abend im Bistro mit erloschener Zigarre melancholisch in der Nacht sich entfernende Gestalt" als für einen strukturalistischen Umgang mit Texten. Hinter den damals aufregenden Diskurs- und Sprachtheorien, denen auch Barthes selber sich gern verschrieb, wirkte eine literarische Empfindsamkeit und analytische Schöpferkraft fort, die heute selbst den trockensten analytischen Texten die Wangen rötet. Das passt vorzüglich zum Seidenschal.

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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