Messesplitter:Das literarische Hausboot

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Ein Hausboot als Schriftstellerasyl in Frankfurt, Flüchtlinge und ihr Schicksal als Thema in der Literatur, Publizieren in Afrika - aktuelle Meldungen von der Frankfurter Buchmesse.

Die Biografie des französischen Romanciers Olivier Rolin weist den 1947 geborenen Globetrotter als einstigen Militanten des Pariser Mai '68 aus, der nach Auflösung der maoistischen Splittergruppe "Gauche prolétarienne" für mehrere Jahre in den Untergrund gegangen sein soll. Wahrscheinlicher aber ist, dass Rolin damals als Matrose anheuerte und zur See fuhr. Die terrestrische Metapher vom "Untergrund" will so gar nicht zu dem Mann passen, der zu klammer Morgenstunde auf dem Deck seines am Mainufer vor Anker gegangenen Boots wie ein altgedienter Seebär die noch dichten Nebelwolken am Himmel prüft. Rolin ist Kapitän an Bord der "L'Ange Gabriel", eines zum Hausboot umgebauten Lastkahns, der als schwimmendes Schriftstellerhospiz schon im Frühjahr vom belgischen Namur aus aufbrach, um den 1450 km langen Flussweg über Mosel, Rhein und Main nach Frankfurt und retour zurückzulegen, mit längeren Aufenthalten zu literarischen Gastauftritten an den Zwischenstationen Nancy, Straßburg, Mannheim und Mainz. An jeder Station haben Rolin, seine Mannschaft und die charmanten Organisatoren Marie-Hèlene Caroff und Olivier Dautrey namhafte Autoren als fahrende Gäste willkommen geheißen. Neben Jean Echenoz waren Christoph Ransmayr und Ilja Trojanow streckenweise mit dabei; und an diesem Messemorgen kommt Mathias Énard, der Autor des Orientromans "Der Kompass", etwas verschlafen aus seiner Kajüte, während einige seiner Kollegen noch im Pyjama um den Frühstückstisch herumtollen. Apropos "Orient" träumen Kapitän Rolin und seine Besatzung bereits davon, im nächsten Jahr - wenn Georgien Ehrengast der Buchmesse sein wird - wiederzukommen und den Main gleich weiter hoch zu schippern, über Main-Donau-Kanal und Donau hinunter bis zur Mündung des Schwarzen Meeres. Volker Breidecker

Subjekte ihres Schicksals

Vor drei Jahren legte der Historiker Philipp Ther pünktlich zur Eskalation der griechischen Staatsschuldenkrise mit seinem Buch "Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent" eine Geschichte des neoliberalen Europa vor, für die er den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhielt. Der nun erschienene Nachfolger "Die Außenseiter" (Suhrkamp Verlag) könnte wieder kaum besser passen: Das Buch ist eine ebenso informierte wie kluge Erkundung der Geschichte von Flucht und Integration in Europa seit dem Ende des 15. Jahrhunderts geworden.

Traf man Ther auf der Buchmesse zum Gespräch, erlebte man einen nachdenklichen Autor, der gern gestand, dass natürlich nicht er die Zeitläufte vorhergesehen habe, sondern umgekehrt die Zeitläufte plötzlich eines seiner alten Themen hätten. Anders hätte er den Band auf keinen Fall so zügig abfassen können.

Die Eine-Million-Euro-Frage, was denn aus der Geschichte zu lernen sei für die Integration der gut 1,3 Millionen Flüchtlinge, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, beantwortet er ebenso lakonisch. Man könne aus der Geschichte nicht irgendetwas direkt lernen. Sie sei eher eine Art Wissensreservoir, das die "politische Fantasie" anregen sollte. In diesem Sinne dürfe man sich aus der Geschichte des vergangenen halben Jahrtausends vielleicht einfach erst mal die schlichte Tatsache zu Herzen nehmen, dass auffällig ist, dass die Integration von Geflüchteten immer dann am besten gelang, wenn die Obrigkeit oder später der Staat wirklich investierte - und sehr, sehr geduldig war. Unerlässlich sei zudem, dass man nicht bequem von oben herab Humanitarismus und Nothilfe huldige, sondern die Flüchtlinge "als Subjekte ihres Schicksals" begreife. Jens-Christian Rabe

Publizieren in Afrika

Es brandet Beifall auf im Salon "Weltempfang", wenn Agnès Gyr-Ukunda aus Kigali, der Hauptstadt Ruandas von ihrem Überdruss am "Elends-Diskurs" über Afrika bekundet. Sie hat einen Kinderbuchverlag mitaufgebaut, es entwickelt sich ein Buchmarkt in ihrem Land, der Refrain aller ihrer Äußerungen beim Panel "Publizieren in Afrika" ist: Man kann in Afrika Bücher machen. Aber es ist schwierig. Die Papierpreise, die Druckereien, der gesamte Herstellungsprozess ist ein Hindernislauf. Das Verlagswesen ist jung, wie die meisten afrikanischen Nationalstaaten. Man braucht Zeit, für das einzelne Buch wie für die Branche. Mit am Tisch der rein frankophonen Runde sitzt Serge Kouam aus Kamerun, Verleger der "Presses universitaires d'Afrique" aus Yaoundé. Er fragt ins europäische Publikum, ob es eigentlich in Ordnung ist, dass vor allem die europäischen und angelsächsischen Verlage von den Migrationsbewegungen in Afrika profitieren. Er sieht eine Emigration nicht nur afrikanischer Autoren, sondern auch ihrer Bücher aus den Herkunftswelten, über die sie schreiben. Marie-Paule Huet arbeitet in Congary. Sie hat als Leser ihrer Verlags die Kinder von Eltern im Blick, die selber nicht lesen können oder wollen. Congary ist nicht nur die Hauptstadt von Guinea, es ist im Jahr 2017 zugleich "Welthauptstadt des Buches". Hauptstadt wovon? Den Titel vergibt die Unesco. Mit dem Austritt der USA und Israels ist das Reich der "Welthauptstadt des Buches" kleiner geworden. Lothar Müller

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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