Mensch und Umwelt:Sand der Träume

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Vor zehn Jahren begann Abu Dhabi mit dem Bau der ersten Öko-Stadt der Welt. Seitdem hoffen viele Länder auf eine bessere Zukunft durch bessere Städte. Eine Illusion?

Von Laura Weißmüller

Belmont, Maidar Eco City, Lower Don Lands, Liuzhou Forest City: Die Ökostädte haben klangvolle Namen, als sollten sie das Versprechen auch akustisch transportieren, dass ein Leben in der Stadt nicht zwangsläufig Abgase, Lärm und Asphalt bedeuten muss, dass Städte saubere Luft, Ruhe und natürliche Landschaften bieten können.

Die Fahrt zum Ursprung dieser paradiesischen Visionen dauert dreimal so lange wie geplant, denn in Abu Dhabi ist Rush Hour. Irgendwann aber ragt ein Häuserblock auf meterhohen Stelzen aus dem Wüstensand auf, rötlich schimmernd im Abendlicht. Das ist Masdar City, die erste CO₂-neutrale Stadt der Welt, so grün und nachhaltig, wie sie vor dem Spatenstich im Jahr 2008 nur Ökofantasten imaginieren konnten.

"Die Nachricht von Masdar City ging damals wie ein Lauffeuer um die Welt", erinnert sich Matthias Schuler. Der Stuttgarter Ingenieur und Chef der Energietechnikfirma Transsolar hat mit seinem Team das Energiekonzept für das 600 Hektar große Masdar entwickelt, den Architekturentwurf lieferte der britische Stararchitekt Norman Foster. Ein halbes Jahr, nachdem Abu Dhabi verkündet hatte, es wolle die erste CO₂-neutrale Stadt der Welt bauen, wurde Schuler, der damals in Harvard lehrte, von einem Gouverneur aus Texas angesprochen. "Der hatte mit Nachhaltigkeit nichts am Hut. Aber die Faszination lag darin, dass Masdar das erste Projekt war, das kein Problem war, sondern die Lösung. Danach sehnt sich die Menschheit."

Ein Ort für brausendes urbanes Leben oder doch die erste ökologische Geisterstadt der Welt? Masdar City in Abu Dhabi. (Foto: Mauritius images/Trevor Mogg/Alamy)

Das tut sie noch immer, vermutlich noch mehr, denn die Welt urbanisiert sich in nie gekanntem Ausmaß. Und die Probleme sind so gewaltig wie die Bewohnerzahlen der neuen Megacitys: Smog, verseuchte Flüsse, Slums. Ökostädte bieten eine Antwort auf diese urbane Bedrohung.

China will deshalb gleich mehrere grüne Städte errichten. Besonders spektakulär sehen die Bilder der sogenannten Waldstadt aus, die im Süden des Landes für 30 000 Bewohner entstehen soll. Entworfen hat sie der italienische Architekt Stefano Boeri, der vor einigen Jahren mit seinem baumbewachsenen Hochhaus in Mailand auffiel. Hier nun soll das Prinzip auf eine ganze Stadt ausgeweitet werden. Vom Erdgeschoss bis zum Dach sind sämtliche Gebäude begrünt, eine Art bewohnbares Dschungelparadies wie aus der Welt von Lara Croft, mit 40 000 Bäumen und einer Million Pflanzen. Chinesen dürften sich nach solchen Ideen besonders sehnen, denn viele Städter führen ein Leben mit Atemschutzmaske und Luftfiltern.

In der Nähe der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator, einer der schmutzigsten Hauptstädte der Welt mit blickdichtem Smog, entsteht Maidar Eco City für 270 000 Einwohner.

Doch auch der Westen feilt an urbanen Visionen. Bill Gates will in der Wüste von Arizona die ökologische Smart City Belmont errichten lassen. Das Unternehmen Google orderte für das kanadische Toronto die Lower Don Lands, einen grünen Stadtteil.

Auch für Deutschland wären Ökostädte keine schlechte Idee. In München erreichte die Konzentration der lungenschädlichen Stickoxide 2015 im Jahresmittel 84 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, das ist mehr als das Doppelte des EU-Grenzwertes von 40 Mikrogramm und mehr als das Vierfache, was die Weltgesundheitsorganisation WHO als Grenzwert empfiehlt. Stuttgart übertraf das noch mit 87 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Sie wollten den Wind und die Sonne nutzen, aber sie bauten gigantische Garagen und Straßen

Doch Deutschland kann nicht nur mithalten, was die Feinstaubbelastung angeht, sondern verfügt auch über bemerkenswertes technisches Wissen zur Überwindung. Schulers Stuttgarter Büro hat das Energiekonzept für die Mongolei genauso entwickelt wie jenes für Toronto. Dort verantwortete Transsolar zusammen mit dem deutschen Architekten Stefan Behnisch den Masterplan. Google orderte bei Schuler eine Studie über die Städte der Zukunft. Dass diese nur grün sein könnten, schien klar. Die Vision von Masdar lebt. Aber was ist davon zehn Jahre nach der Gründung Wirklichkeit geworden?

Wohnträume von Lara Croft: Das mehrstöckige Dschungelparadies des italienischen Architekten Stefano Boeri im chinesischen Liuzhou. (Foto: Stefano-Boeri-Architetti)

Von der Stadt steht bislang nur ihr winziger Kern, ein chromglänzendes Forschungsinstitut und ein Studentenwohnheim mit einer rötlichen Mauerfassade, die sanfte Wellen schlägt. Dazu einige Coffeeshops, das Headquarter von Siemens für den Nahen Osten und eine Handvoll eher nichtssagender Bürogebäude. In den schmalen Gassen ist es leer, dafür weht ein angenehm kühler Wind, von dem man in Abu Dhabi nur träumen kann. Ist Masdar die erste grüne Geisterstadt der Welt, wie der Guardian titelte?

"Blödsinn", sagt Anthony Mallows und klettert behend über den Bauzaun. Der Südafrikaner leitet seit einigen Jahren als Geschäftsführer das Projekt, stolz zeigt er auf die gigantischen Baustellen, die sich wie Ringe um den Stadtkern legen. Tatsächlich drehen sich in allen Himmelsrichtungen Baukräne, noch in den Abendstunden sind die Bauarbeiter im Einsatz. Allein Etihad, Abu Dhabis staatliche Fluggesellschaft, lässt hier für Hunderte Mitarbeiter Wohnungen errichten. "Seit 2015 schreiben wir schwarze Zahlen", so Mallows. Er hat aus Masdar eine Freihandelszone gemacht und private Investoren in das zunächst ausschließlich staatlich finanzierte und auf 22 Milliarden Dollar geschätzte Projekt gelassen. Wer heute CO₂-neutral baut, bekomme Vergünstigungen, und überhaupt: "Die Emiratis sind die ersten Öko-Menschen. Sie lebten als Fischer und Perlentaucher." Dass gerade gigantische Garagen in den Wüstenboden einbetoniert werden, weil Autos nun in Masdar zugelassen sind, sagt er nicht.

"Der neue Masterplan von Masdar City ist eine Katastrophe", erklärt Schuler. "Er zerstört die Vision." Dem Stuttgarter reicht zum Beweis eine Zahl: 81 Meter. So breit wird die neue Avenue, die sich quer durch Masdar ziehen soll, alle Leitungen werden darunter verlegt. Das aber widerspricht allem, was die Ökostadt in ihrem Ursprungsplan prägte - eine möglichst dichte Bebauung, damit sich die Häuser gegenseitig Schatten spenden, die Nutzung des Windes, der auf natürliche Weise Abkühlung schafft, ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz statt Privatautos.

Alles dies wiederholt die Fehler der Metropole Abu Dhabi. An einem Großteil des Jahres ist die Stadt für Menschen ohne Auto nicht nutzbar. Einfach weil sie zu heiß wird. Hauptgrund dafür sind die 75 Meter breiten Avenues, die sich wie auf dem Reißbrett durch Abu Dhabi ziehen. Das erinnert nicht nur an New York, es ist tatsächlich die Kopie eines nordamerikanischen Stadtplans. Im Wüstensommer, bei 47 Grad im Schatten, erhitzt sich in Abu Dhabi der Asphalt auf über 60 Grad, die Stadt wird zum Backofen, das Leben ohne Klimaanlage unmöglich.

Die Bevölkerung in der Mongolei wächst rasch, so entstand die Idee für die Maidar Eco City. Illustration: Maidar Ecocity Masterplan (Foto: RSAA)

Genau dies droht nun Masdar. Schuler findet das besonders deshalb deprimierend, weil seine Messungen im Stadtkern bestätigten, dass sein Konzept aufgegangen wäre. "In der Stadt ist es zehn Grad kühler als draußen." Dadurch würde Masdar nur an wenigen Tagen im Jahr zu heiß. Durch die breite Avenue könnte das jedoch nun an jedem zweiten Tag im Jahr der Fall sein. Schuler hat nichts gegen die Freihandelszone, auch der Ursprungsplan sah ein Existenzgründer- und Forschungscluster vor, angeschlossen an die Universität, das die Komponenten für CO₂-neutrale Städte entwickeln sollte. Doch dass sich in Masdar nun Investoren nicht mehr an die nachhaltigen Ziele halten müssen, hält er für fatal. "Indem man die Vision aufgibt, hat man das Interesse für Masdar aufgegeben. Jetzt ist es nur noch ein Grundstück wie irgendwo sonst im Mittleren Osten."

Warum Abu Dhabi sein Prestigeprojekt fallen ließ? Nach der Weltwirtschaftskrise 2008 und dem darauf folgenden Einbrechen des Ölpreises hat das Emirat seinen kompletten Staatshaushalt auf den Prüfstand gestellt. Masdar hielt dem offensichtlich nicht stand. An den 22 Milliarden Dollar Investitionsvolumen dürfte es nicht gelegen haben, dafür ist das Emirat zu reich. Aber auf dem Projekt lastete ein hoher wirtschaftlicher Druck.

Damit schließt sich der Kreis zu all den neuen Ökostädten. Denn so unterschiedlich die Mongolei, Toronto oder der Süden Chinas auch seien mögen, die Investoren denken überall gleich. "Von Anfang an war Masdar unter Beschuss", erinnert sich Schuler. Die Investoren wollten vor allem eines: mehr bauen. Auf Kosten der Nachhaltigkeit. Mallows ist zufrieden, dass sie gewonnen haben. Auch wenn er gar nicht mehr für Masdar verantwortlich ist. Im Dezember wechselte er die Firma, der Verkäufer ist weitergezogen.

Die Dichte der Häuser, das Ausrichten der Öffnungen, das Ausnützen von Wind und Sonnenlicht - vieles hat funktioniert, was in Masdar zum ersten Mal ausprobiert wurde. Einiges davon wird jetzt in der Maidar Eco City, in den Lower Don Lands, ja auch im Louvre Abu Dhabi, wo Transsolar den Architekten Jean Nouvel beraten hat, umgesetzt. Allein: Das beste Konzept hilft nichts, wenn der schnelle Profit zählt. "Manchmal ist dem Bauherr selbst nicht klar, was sein Projekt bedeutet. Aber dann müssen wir ihn begleiten und dürfen ihn aus seiner eigenen Vision nicht rauslassen," sagt Matthias Schuler. Vermutlich ist das die wichtigste Lektion, die die Welt in Masdar City lernen kann.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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