Mediaplayer:Unter Übermenschen

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Im Thriller "Imperium" von Daniel Ragussis spielt Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe einen Undercover-Agenten, der in die US-Neonazi-Szene eingeschleust wird.

Von Jörg Häntzschel

In den letzten Monaten hat man mehr über die amerikanische extreme Rechte gehört als in den Jahren zuvor. Figuren wie David Duke, der ehemalige Anführer des Ku-Klux-Klan, oder Richard Spencer, der Kopf der Alt-Right-Bewegung, ritten auf der Trump-Welle aus ihrer politischen Deckung. Donald Trump selbst unternahm wenig bis nichts, um sich von den opportunistischen Unterstützern zu distanzieren. Rassistische Übergriffe haben seit seinem Wahlsieg denn auch erheblich zugenommen. Mit seinem Thriller "Imperium", der das amerikanische Neonazi-Milieu ausleuchtet, hat Daniel Ragussis also den Film zur Stunde gedreht.

Nate Foster (Daniel Radcliffe) ist ein junger FBI-Agent, der seinen Platz im Bureau nicht recht findet. Wenn die Kollegen wieder mal einen Dschihadisten jagen, sitzt er auf der Rückbank. Später fällt ihm dank seiner Sprachkenntnisse der undankbare Job zu, die angeblichen Drahtzieher im Verhör als kleine Fische zu entlarven. Bei seinen Chefs, die sich nichts sehnlicher wünschen als einen spektakulären Schlag gegen den islamistischen Terror, macht er sich damit nicht beliebter.

Nates aufrechte Vorgesetzte Angela Zamparo (Toni Collette) hält die selektive Aufmerksamkeit der Bundespolizei für unverantwortlich. Seit Langem warnt sie vor den Aktivitäten weißer Suprematisten und Neonazis. Als sie dann von Fässern mit Cäsium erfährt, die möglicherweise von Rechtsterroristen gestohlen wurden, um eine Dirty Bomb zu bauen, schickt sie Nate als V-Mann in den Nazi-Untergrund. Ja, gerade ihn, den schmächtigen Novizen - weil er das Einfühlungsvermögen und die Intelligenz besitzt, die den Kollegen fehlen.

Radcliffe muss in diesem Film also gleich doppelt gegen sich anspielen, das macht seine Besetzung so faszinierend. Mit seiner Agenten-Rolle exorziert er einmal mehr seine Harry-Potter-Persona; und als Scharfmacher mit Glatze und Hitlergruß lässt er sein Film-Ich des introvertierten Intellektuellen hinter sich. Doch ganz wächst er nie in seine neue Identität hinein. Das Forcierte in Nates "White Power"-Gebrüll und seinen Geschichten aus dem Irakkrieg ist kaum zu übersehen. Doch die Nazis mit ihrer getrübten Optik fallen auf seine Sprüche herein, selbst dann noch, als er in einigen brenzligen Situationen aus der Rolle fällt. Wie lange kann das gutgehen? Das ist die Frage, von der dieser Film lebt.

Mit dem Kunststück, sich in die Szene einzuschleusen, ist es für Nate nicht getan. Er muss zu den Masterminds des vermeintlichen Terroranschlags vordringen, beim FBI wird man schon ungeduldig. Geschickt gleitet er durch die Submilieus des Untergrunds. Er hockt an den Stammtischen der Skins, deren "Kampf" vor allem im Biertrinken besteht, lässt sich weiterreichen zur "Arischen Allianz", deren uniformierte Mitglieder in einem versteckten Lager mit Feldbetten und Juden-Karikaturen als Zielscheiben den "Rassenkrieg" vorbereiten. Und er trifft einen Talkshow-Macher, der das Gerede vom "Weißen Genozid" als Marktlücke erkannt hat.

Beim Nazi-Sommerfest des Bilderbuch-Familienvaters Gerry Conway (Sam Trammell) - samt Hakenkreuz-Cupcakes, Veggie-Burgern und bezaubernden Kindern, die von "Untermenschen" faseln - kommt die Tour zu ihrem gespenstischen Höhepunkt. Der belesene und kultivierte Conrad erkennt sofort, dass Nate von anderem Kaliber ist als die Dumpfbacken der "Bewegung". Er hält ihn für einen Seelenverwandten und behandelt ihn wie einen Sohn. Mit feuchten Augen hören sie gemeinsam Brahms. Und Tschaikowski, dirigiert von Leonard Bernstein. "Bernstein, der ist doch . . .", protestiert Nate. "Ich weiß, ich weiß", winkt Conrad ab. Einen Moment lang scheint es, als kämen Nate und sein Nazi-Ich auf unheimliche Weise zur Deckung. Doch damit ist es jäh vorbei, als er einen Blick in die Garage wirft.

Wirklich befriedigt ist man am Ende nicht von Ragussis' Film. Weder lernt man viel Neues über die rechtsextremen Strukturen in Amerika noch über die Psychologie ihrer Mitglieder. Und selbst der schizophrene Kraftakt des Undercoveragenten ist hier nur von außen sichtbar. Aber man kann Ragussis kaum vorwerfen, dass er weder einen Dokumentarfilm noch ein Psychodrama gedreht hat, sondern stattdessen einen sehr präzisen und ökonomischen Thriller.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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