Mediaplayer:Brutaler Holzkopf

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"El Chapo" auf Netflix -eine Drogenserie als Telenovela. Wenn die Mexikaner selbst von ihrem größten Drogenboss erzählen, lassen sie lieber kein gutes Haar an ihm.

Von Benedikt Frank

Ein gutes Gangsterdrama kann das Image eines ganzen Fernsehsenders definieren. "Die Sopranos" verhalfen HBO zu bleibendem Ansehen, "Breaking Bad" erzählte von der Wandlung eines Lehrer zum Drogenbaron und machte seinen Sender AMC berühmt, und in jüngerer Vergangenheit glänzte Netflix mit der Serie "Narcos".

In der erste Staffel begleitete "Narcos" Pablo Escobar bei seinem Aufstieg zum mächtigsten Drogenboss Kolumbiens - eine völlig irrwitzige Geschichte über den Realität gewordenen Größenwahn eines milliardenschweren Verbrechers. In der zweiten Staffel folgte Escobars nicht weniger spektakulären Niedergang. Eine dritte und vierte sind in Vorbereitung, darin sollen andere Topmanager des Kokainhandels auftreten. An diesen mangelt es in Lateinamerika nun wirklich nicht.

Aber warum immer alles aus der Sicht der USA erzählen? Das fragten sich die Netflix-Macher dabei wohl selbst, und die Antwort heißt nun "El Chapo". Diesmal geht es um den berühmtesten Drogenboss Mexikos, aber die Serie über Joaquín Guzmán ist auch eine mexikanische Produktion, co-produziert mit Univision, einem spanischsprachigen US-Sender mit mexikanischen Wurzeln und entsprechendem Publikum.

Guzmáns Werdegang ist dem Escobars durchaus ähnlich. Vom kleinen Ganoven arbeitet er sich zum großen Patrón hoch. Sein Rufname El Chapo, der Kleine, aber bleibt ihm. Seine scheinbar grenzenlosen Macht endet auch nicht, als er in den Neunzigern verhaftet wird. Erst als eine Auslieferung in die USA droht, flieht er aus dem Gefängnis. Nachdem er zum zweiten Mal geschnappt wird, entkommt er dem Hochsicherheitsgefängnis abenteuerlich durch einen Tunnel.

Man sieht diesem Biopic an, dass es für ein anderes Publikum gemacht wurde. "Narcos" erzählt die Jagd auf Escobar immer auch aus Perspektive der amerikanischen Drogenbehörde DEA und präsentiert deren Agenten als zumindest halbwegs moralischen weißen Helden. Die Amerikaner in "El Chapo" dagegen treten nur als anonyme Anzugträger auf und setzen gelegentlich die Politik unter Druck. In "Narcos" wird die Korruption immer wieder als Außergewöhnlichkeit inszeniert, das dreiste Vorgehen Escobars und die hilflose Antwort der Behörden sollen den Zuschauer staunen lassen. Für die Macher von "El Chapo" bedarf es keiner weiteren Erklärung, wenn ein hochrangiger mexikanischer Offizier beim Treffen der Bosse vorbeischaut.

Auch die Machart unterscheidet sich deutlich von der Schwesterserie, "El Chapo" hält sich eher an die Sehgewohnheiten des lateinamerikanischen Publikums. Die Gewalt ist weit weniger ästhetisiert, statt eines ausgefeilten Wechsels von Hochdruck und Entspannung gibt es oft nur eine recht unvermittelte Aneinanderreihung von Ereignissen. Das erinnert mehr an eine Telenovela als an eine aufwendige Hochglanz-Serie. Auch von der Charakterzeichnung der Hauptfigur dürfte enttäuscht sein, wer eine mexikanische Kopie von "Narcos" erwartet. El Chapo ist in der Serie ein brutaler Holzkopf, der sich mit dem immer gleichen Gesichtsausdruck den Weg freischießt. Während Escobar neben aller Bosheit durchaus auch Charme beweist, scheint man hier bemüht, die Titelfigur keinesfalls zu sympathisch wirken zu lassen. So umgesetzt sieht El Chapos Biografie im Vergleich zu der Escobars auffallend spießig aus, sofern man eine derart bürgerliche Kategorie überhaupt auf die Welt der organisierten Kriminalität anwenden will.

Ironischerweise stolperte der reale El Chapo schließlich wirklich über eine eitle Dummheit: Während der Flucht führte er mit dem amerikanischen Schauspieler Sean Penn und der mexikanischen Schauspielerin Kate del Castillio Gespräche über eine Verfilmung seiner Lebensgeschichte. Das soll zu seiner Festnahme geführt haben, inzwischen ist er an die USA ausgeliefert worden. Mit der Netflix-Produktion ist er nun höchst unzufrieden. Seine Anwälte drohen mit einem millionenschweren Prozess um die Rechte der Lebensgeschichte. Zudem schade die Serie seinem Ruf. Das ist zwar nur eine Strategie, um vor Gericht eine Vorverurteilung behaupten zu können. Was sein Ansehen als genialer Gangsterboss betrifft, ist diese Analyse von "El Chapo" aber richtig.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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