Max Webers "Politik als Beruf":"Ich kann nicht anders"

Lesezeit: 4 min

Eine antiquarische Sensation wird veröffentlicht: Acht unordentliche Stichwortzettel lagen Max Webers legendärer Rede über "Politik als Beruf" zu Grunde - eine Abhandlung über die letzten Grenzen der Politik.

Von Gustav Seibt

Dieser Text erschien erstmals in der Süddeutschen Zeitung vom 4. August 2008.

Die Abhandlung "Politik als Beruf", Max Webers Vermächtnis an ein Jahrhundert, das bald keine Gelegenheit ausließ, die Menschheit ins Unglück zu stürzen, entstand in freier Rede.

Rede vor linksliberalen Studenten in München

Am Abend des 28. Januar 1919 sprach Weber auf Einladung einer linksliberalen studentischen Vereinigung in einer Schwabinger Buchhandlung; die Aufforderung hatte er widerwillig erst akzeptiert, als die Studenten damit gedroht hatten, wenn er nicht rede, den Münchner Revolutionsführer Kurt Eisner zu bitten.

Max Weber 1919: Deutschland steht eine "Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte" bevor. (Foto: Foto: Getty)

So kam Weber kurzfristig, nach seiner Art nur rhapsodisch vorbereitet. Acht unordentlich mit fliegender Handschrift wirr bedeckte Stichwortzettel dienten ihm als Unterlage für einen Argumentationsgang, der sich nach allen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts immer noch strahlend behauptet.

Gesinnungs- und Verantwortungsethik

Vielleicht ist das etwas gedrungene, dem krisenhaften Moment geschuldete Pathos etwas fremd geworden - aber gibt es überhaupt wirksame politische Texte, die ihre Kraft nicht auch aus konkreten historischen Konstellationen beziehen?

Nach einer welthistorisch systematisierenden Übersicht zu seinem Thema, die alle großen Fragen von Herrschaft, Legitimität und moderner Politik samt Parteienwesen, nicht zuletzt die materiell soziologischen von Rekrutierung, Besoldung und Professionalisierung behandelte, mündete Webers Rede in eine Unterscheidung, die sich unmittelbar an seine studentischen Gastgeber richtete: die Gegenüberstellung von "Gesinnungsethik", die das Handeln des Politikers strikten ethischen Maßstäben unterwirft, ohne nach den Folgen zu fragen, und von "Verantwortungsethik", die mit der existierenden moralischen Unordnung rechnet und die Konsequenzen politischer Entscheidungen realistisch abzuschätzen versucht.

Leidenschaft und Augenmaß

Max Webers zwischen akademischer Vorlesung und bürgerlicher Ermahnung changierender Text wurde bald publiziert, und ebenso bald fanden viele seiner Formulierungen Eingang in den klassischen Bestand politischen Denkens, ja man kann sagen: Seine Zitatendichte wird nur noch von Schiller-Dramen übertroffen, ob man die "sterile Aufgeregtheit" politisierender Literaten nennt, oder das "langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" beim echten Politiker, oder die "Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte", die Deutschland bevorstehe.

Die Entstehung des Textes ist den Augen der Nachwelt weitgehend entzogen, denn das Stenogramm der mündlichen Rede und dessen anschließende Überarbeitung - es muss sich um eine beträchtliche Erweiterung handeln - durch Weber, die der gedruckten Erstausgabe vom Frühjahr 1919 zugrundelagen, haben sich nicht erhalten. Bekannt waren allerdings die Stichpunkte.

Zum Kauf für eine sechsstellige Summe

Seit 1992 liegen sie transkribiert in der Max-Weber-Gesamtausgabe vor, allerdings nicht auf Grund der originalen Zettel, sondern nur nach Fotografien aus den fünfziger Jahren. Die Originale waren "verschollen", das heißt im innerakademischen Erbgang von Webers Cousin Eduard Baumgarten über den Max-Weber-Archivar Johannes Winckelmann der Öffentlichkeit unzugänglich geworden.

Nun bietet der Antiquar Heribert Tenschert diese unschätzbare Spolie zum Verkauf an - die Provenienz wird vorerst vertraulich behandelt, darf bei Tenscherts Erfahrenheit und Renommee aber als tadellos unterstellt werden. Der Preis ist hoch - im unteren sechsstelligen Bereich -, der Kreis der Käufer entsprechend klein.

Für die Öffentlichkeit wichtiger ist, dass Tenschert diese auratische Handschrift in einer opulenten fotografischen Wiedergabe samt Transkription (nach der Max-Weber-Ausgabe) und dazu mit einer lesefreundlich vergrößerten Reproduktion der gedruckten Erstausgabe von 1919 vorstellt ("Leidenschaft und Augenmaß". Max Webers Stichwortmanuskript zu "Politik als Beruf". Einführung von Dirk Kaesler. Katalog LIX, Heribert Tenschert, Antiquariat Bibermühle 2008).

Gesinnungspolitiker in neun von zehn Fällen Windbeutel

Der Leser erhält also einen denkbar komfortablen Einblick in die Gedankenfabrik Webers, nicht zuletzt in die ungeheure Konzentriertheit seines Arbeitens. Denn in den kaum 1000 Stichworten sind alle wesentlichen Gedanken der im Druck 60 Seiten langen Abhandlung schon angelegt, sogar ihre pathetischen, bald geflügelten Prägungen, so die Zusammenstellung von "Augenmaß" und "Leidenschaft".

Die Entkräftung der "Gesinnungsethik" stellt sich als wichtigstes Motiv der im mündlichen Vortrag deutlich kürzeren Rede heraus. Hier reagierte Weber nicht nur auf die Studenten, die ihn eingeladen hatten, sondern auch auf den revolutionären Moment in München, den er nur als "Karneval" verstehen konnte.

Auf der letzten schmalen Seite des Manuskripts (unsere Abbildung) findet sich die Formulierung, dass ",Gesinnungspolitiker in 9 von 10 Fällen Windbeutel" seien, die auch im gedruckten Text steht. Interessant aber ist, dass dies doch nicht das letzte Wort ist. Denn anders als im gedruckten Text scheint Weber nicht mit der herben Warnung vor der Desillusionierung der gesinnungsethischen Träume geschlossen zu haben, sondern mit dem Hinweis, dass der Gegensatz, den er aufgebaut hatte, nicht absolut ist.

Im gedruckten Text heißt es auf der vorletzten Seite, dass an einem Punkte auch ein reifer Mensch, der verantwortungsethisch handelt, irgendwann sage: "Ich kann nicht anders, hier stehe ich." Damit ist eine letzte Grenze der Politik bezeichnet, und das ist für Weber "etwas, was menschlich echt ist und ergreift. Denn diese Lage muss freilich für jeden von uns eintreten können. Insofern Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze sind, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ,Beruf zur Politik haben kann."

Bewegende Nuancen

Das wäre ein blendender Schluss für eine Rede, aber der gedruckte Text geht noch anderthalb Seiten weiter und schließt dann mit dem heroischen Appell an eine Geduld, die erst Augenmaß mit Leidenschaft verbinden lernt. Das Manuskript zeigt nun, dass die Reihenfolge im gesprochenen Wort möglicherweise andersherum verlief: Erst Augenmaß und Leidenschaft, danach "ich kann nicht anders".

Der letzte Zettel schließt mit den Stichworten: "Nur bei voller Übersicht über/ Verantwortung/ an irgend einem Punkt./ ,ich kann nicht anders/ - das erschütternd - u/ menschlich echt." Im gedruckten Text hat die Rede also zwei Schlüsse, die beide bedeutungsvoll auf die Formulierung "Beruf zur Politik" hinauslaufen, gesprochen hat Weber wohl nur den ersten Schluss, der die letzte, durchaus gesinnungsethische Grenze des verantwortungsethischen politischen Handelns stärker in den Vordergrund rückte.

Das sind Nuancen, aber doch sehr bewegende. Für den Druck hat sich Weber für eine härtere, strengere Variante entschieden. Das versöhnliche Einlenken zu seinen idealistischen Zuhörern wird kaschiert mit "Polarnacht" und heroischem Standhalten: "Nur wer sicher ist, dass er nicht daran zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber: ,dennoch! zu sagen vermag, nur der hat den ,Beruf zur Politik."

© SZ vom 04.08.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: