Mäzen und Sammler:Der Privatier und die Kunst

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Heinrich Kirchhoff sammelte 20 Jahre lang moderne Kunst. Heute ist er vergessen, doch er machte Wiesbaden zum zweiten künstlerischen Zentrum nach Berlin.

Von Evi Buddeus

Kaum jemand kennt Heinrich Kirchhoff. Das war nicht immer so: 20 Jahre lang, von 1914 bis 1934, machte er sich als Kunstsammler in Wiesbaden einen Namen. Dabei gelang es ihm, eine der größten Kunstsammlungen deutscher Avantgardisten zusammenzutragen.

Über die erste Lebenshälfte Heinrich Kirchhoffs ist wenig bekannt. Geboren 1874 in Essen, wächst der Unternehmersohn in konservativen Verhältnissen auf. Nach dem Tod seines Vaters veräußert er sein Erbe, setzt sich im Alter von 33 Jahren zur Ruhe und beschließt, sich in Wiesbaden niederzulassen. 1908 lässt er am "Sonnenberg" in der Beethovenstraße 10 eine Villa mit Garten errichten und gründet kurz darauf seine Familie. Mit seiner Frau Tony bekommt er die drei Kinder Maria, Antonie und Karlheinz.

In seinen ersten Jahren in Wiesbaden kümmert er sich vorrangig um die Anlage seines exotischen Gartens, besucht Ausstellungen und lernt dort die Werke der Künstler kennen, die er später selbst sammeln sollte. Seine Sammelleidenschaft beginnt 1915 mit der Eröffnungsausstellung der neuen Räume des Museums Wiesbaden. Aus dieser Schau kauft er im großen Stil an und bildet somit gleichzeitig den Grundstock der zeitgenössischen Abteilung. Viele seiner Werke überlässt er dort der Dauerausstellung. Das Museum wird zu seinem erweiterten Wohnzimmer.

Als Privatier ist Kirchhoff frei von jeglichen Verpflichtungen: Er hat Zeit, Geld und gleichzeitig ein Gespür für Qualität. "Er ist einer der ersten Sammler, die mäzenatisch ausgerichtet sind. Er hat den Gedanken gehabt, eine private Sammlung darf man nicht wegsperren. Die Leute sollen es sehen und daran auch Geschmacksbildung betreiben", erzählt Roman Zieglgänsberger, Kurator der Ausstellung. "Er ist der Prototyp des modernen Sammlers."

Seine Vision ist es, die besten zeitgenössischen Künstler nach Wiesbaden zu ziehen und ein zweites Zentrum der Avantgarde neben Berlin zu errichten. Tatsächlich gelingt ihm das.

In knapp zwölf Jahren schafft es Kirchhoff, seine Kunstsammlung vom Impressionismus über Emil Nolde und Alexej von Jawlensky zum Expressionismus und dann bis hin zu den konstruktiven Positionen zu wandeln. Schließlich landet er bei den abstraktesten, zeitgenössischen Werken von Wassily Kandinsky. "Er wollte bewusst die aktuellsten Strömungen der deutschen Kunst. Er hat immer Bilder gesammelt, die gerade trocken waren." Werke, die nicht mehr passen, veräußert er, und so erneuert sich die Sammlung sukzessive. Über 800 Werke sind der Sammlung über die Jahre hinweg zuzuordnen.

Kirchhoff war ein Mensch, der die Leute mitgerissen hat. Aber nicht nur seine Person wirkte anziehend, der Zugang zur Kunst eröffnet sich besonders über den Garten. "Die Leute sind aus dem Großstadtleben, aus Berlin, Zürich, Hannover hierhergekommen und haben dieses absolute Paradies bei Kirchhoff, diese Stille, diese Ruhe, dieses Geordnetsein von nur vorgespielter Natur genossen", sagt Zieglgänsberger. Das Gästebuch dokumentiert eine lange Liste von Künstlern, Sammlern und Kunstinteressierten, die aus ganz Deutschland kamen, um sich inspirieren und teils auch finanzieren zu lassen. "Er war Millionär und ist dann irgendwann auf den Trichter gekommen, dass er Künstler fördern kann und das auch möchte, mäzenatisch."

Conrad Felixmüller und Walter Jacob kauft er nicht nur regelmäßig Arbeiten ab, er stellt ihnen auch Wohnraum zur Verfügung. Kirchhoff führt ein offenes Haus, die Künstler sind zeitweise in die Familie integriert. Die jüngeren Künstlerzöglinge bleiben nur ein, zwei Jahre. Eine besonders enge und langjährige Beziehung pflegt Kirchhoff mit Alexej von Jawlensky. Dieser zieht in die direkte Nachbarschaft und wird zum Teil der Familie, was sich mit überdurchschnittlich vielen Werken in der Sammlung niederschlägt. Kirchhoffs Frau Tony porträtiert er über mehrere Jahre hinweg in privaten Serien. Auf dem Aquarellblock entstehen kleine Arbeiten, die den Familienmitgliedern geschenkt werden. So darf "Mieze", die älteste Tochter, einmal drei Tage nicht in ihrem Bett schlafen, weil Jawlensky ihre Teddys malt und das Bild noch nicht fertig ist. Sogar die Farbe des Autos, das die Familie schon in den frühen 20erJahren besitzt, darf Jawlensky bestimmen.

Die Wirtschaftskrise dezimiert zwar Kirchhoffs Vermögen, doch die Sammelleidenschaft bleibt. Solange er lebt, sieht er sich als Platzhalter, danach soll seine Sammlung dauerhaft der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Dieser Wunsch scheitert 1933. Mit der Machtübernahme der Nazis muss er seine Werke aus dem Museum zurückholen. Nur ein Jahr später, am 29. Oktober 1934, stirbt Heinrich Kirchhoff unerwartet an Herzversagen. Seine Sammlung wird unter den Erben aufgeteilt, und diese veräußern die Werke nach und nach. Sein Garten fällt dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, Leben und Werk geraten in Vergessenheit.

Heinrich Kirchhoff erfährt nun durch die Arbeit der Kuratoren Roman Zieglgänsberger und Sibylle Discher eine späte Würdigung. Drei Jahre Recherche und Vorbereitung waren nötig, um die Rolle des Sammlers Kirchhoffs in der aktuellen Ausstellung umfassend darzustellen. 60 Werke aus der ehemaligen Sammlung wurden dafür an den ihnen ursprünglich zugedachten Platz zurückgeholt.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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