Mädchengeschichte:Die 4 Klassen der Seltsamen

Lesezeit: 2 min

Ein hochbegabtes Mädchen verändert das Leben ihrer Freunde, und damit auch ihr eigenes Schicksal.

Von Hilde Elisabeth Menzel

In den letzten Jahren kommt beim Leser von Jugendliteratur immer öfter der Verdacht auf, als bedienten sich amerikanische Autorinnen und Autoren aus einem von den Schreibschulen bestückten Baukasten, der mit Modethemen gefüllt ist. Es sind dies zur Zeit Autismus, tote Mütter oder Eltern, Homosexualität, Mobbing und Hochbegabung. Um letzteres geht es in Glück ist eine Gleichung mit 7 von Holly Goldberg Sloan. Und um es gleich voraus zu schicken: Willow, die 12jährige Heldin des Romans, erfüllt nicht das Muster der genialen, aber unglücklichen Einzelgängerin, um die es in den meisten dieser Titel geht. Ja, sie ist hochbegabt mit Geniepotential, und ihre Adoptiveltern sterben bei einem Unfall. Doch was die Autorin aus diesen "Bausteinen" macht, hat eine ganz eigene Qualität jenseits aller Klischees.

Willow erzählt ihre Geschichte selbst, zwanghaft genau in einer Sprache, die zunächst irritiert, erscheint doch ihre intellektuelle Künstlichkeit einer Zwölfjährigen nicht angemessen. Doch im Laufe der Geschichte erweist sie sich als durchaus passend für dieses ganz besondere Mädchen, und Wieland Freund hat mit seiner Übersetzung die schwierige Balance zwischen intellektueller Distanz und ironischem Witz grandios gemeistert. Willows Geschichte beginnt mit dem Bericht über den Verlust ihrer Eltern. Um das Ausmaß dieser Katastrophe dem Leser verständlich zu machen, blickt Willow im zweiten Kapitel zurück und erzählt von ihren Adoptiveltern, die sie, "einen Menschen anderer Hautfarbe", über die Maßen liebten, obwohl es sich heraus stellte, dass Willow "anders im Sinne von seltsam" ist. So hat sie mehrere Obsessionen. Da ist einmal die Zahl 7, und wenn sie nervös ist, rettet sie sich in Zahlenreihen, die mit 7 zu tun haben. Darüber hinaus liebt sie Primzahlen und interessiert sich leidenschaftlich für medizinische Befunde und Pflanzen.

Holly Goldberg Sloan: Glück ist eine Gleichung mit 7. Aus dem Englischen von Wieland Freund. Hanser 2015. 304 Seiten, 16,90 Euro. (Foto: Hanser)

Nun ist sie auf eine neue Schule gekommen, in der Hoffnung dort Freunde zu finden. Doch bei den Mitschülern ist sie sofort abgestempelt als "Nerd" und, schlimmer noch, als "Freak". Als sie einen Test frühzeitig fehlerfrei abliefert, vermutet die Lehrerin Betrug, und die Direktorin schickt Willow zu Dell Duke, der als Sozialarbeiter für schwierige Kinder zuständig ist.

Für seine "Fälle" hat er sich ein System eingerichtet, die "4 Klassen der Seltsamen": Außenseiter, Chaoten, Einsame Wölfe und Irre. Für Willow braucht er eine neue Kategorie: "Genie!". Bei ihm lernt Willow die Geschwister Mai und Quang-ha kennen, deren Mutter Pattie aus Vietnam stammt und ihre Kinder alleine groß zieht.

Mai ist dabei, als Willow vom Tod ihrer Eltern erfährt. Ohne Zögern bringt sie das Mädchen zu ihrer Mutter, die das völlig erstarrte Kind wie selbstverständlich bei sich aufnimmt. So bewahrt sie Willow vor dem Heim, denn ihre Eltern hatten keine näheren Verwandten oder Freunde. Der Kampf Patties gegen das Sozialamt, der nun folgt, enthält viele komische und herzbewegende Szenen, doch was den Roman einzigartig macht, ist die Entwicklung Willows während dieser Zeit. Statt in ihrer Trauer zu versinken, gelingt es diesem großherzigen Mädchen, dank ihrer Intelligenz und ihrer großen Empathie, die Menschen ihrer Umgebung positiv zu verändern und in ihnen Kräfte zu wecken, von denen sie nichts wussten. (ab 13 Jahre)

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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