Lyrik:Von den schlaflosen Nächten in New York

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Der russisch-amerikanische Lyriker Eugene Ostashevsky treibt einen philosophierenden Piraten und einen kritischen Papageien in gewitzte Gespräche über Sprache, Verstehen und Irrfahrten.

Von Vincent Sauer

1979 kommt Eugene Ostashevsky als Elfjähriger aus Leningrad nach New York. Seine Familie lässt sich im Stadtteil Brooklyn nieder. Den alten Industrien geht es dort immer schlechter, die Kreativ-Wirtschaft und der Kreativen-Tourismus lassen noch auf sich warten. Brooklyns öffentliches Leben aber war schon längst davon geprägt, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft irgendwie miteinander leben und reden müssen. Eine Herausforderung jeder Immigration ist der Erwerb zumindest derjenigen neuen Sprache, die den Verkehr in den staatlichen Institutionen regeln soll.

Im Elternhaus Ostashevskys wird Russisch gesprochen. Die russische Lyrik mit ihren klaren Metren, ihrer Lautmalerei und der Affinität zum Reim prägt Eugenes erstes Verständnis von Poesie. Kindergedichte von Wladimir Majakowski, Ossip Mandelstam oder Daniil Charms wird er später übersetzen. Die amerikanische Lyrik dieser Zeit ist hingegen in Zeilen gesetzte nüchterne Prosa und hat nur wenig Einfluss auf den Heranwachsenden. Ostashevskys englisches Sprachgefühl schult sich stattdessen am Hip-Hop von Gruppen wie RUN DMC oder Beastie Boys, die Mitte der Achtziger ihre ersten Alben veröffentlichen. Nach seinem Studium in Stanford landet Eugene Ostashevsky im Literature-Department der New York University, wo er heute unterrichtet: "Der Fokus meines Interesses liegt auf dem Schnittpunkt von Poesie, Sprachphilosophie, Philosophie der Mathematik, Erkenntnistheorie und Übersetzung. Leider ist es möglich, dass es diesen Schnittpunkt gar nicht gibt."

Ostashevsky ist Skeptiker. Wem akademisch zertifizierte oder ewige Wahrheiten nicht geheuer sind, geht seinen Fragen besser künstlerisch nach und erfährt vielleicht so versuchsweise, was es mit der Sprache auf sich hat. Ein "kompetenter Sprecher" einer Sprache zu sein, wie es in der Linguistik heißt, also jemand mit großem Wortschatz und guten Kenntnissen grammatischer Gesetze, bietet jedoch nie die Sicherheit, ein lebendiges Gegenüber wirklich zu verstehen.

Dieses Problem ist zentral im aktuellen vierten Gedichtband von Ostashevsky, betitelt "Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt". Er entstand im fremdsprachigen Ausland, nämlich im Zuge eines Stipendiums des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Der Dichter lässt bei den Irrfahrten und Überfällen eines philosophierenden Piraten und eines kritischen Papageien situativ Kommunikation misslingen und die zwei Protagonisten den Grenzen von Mitteilbarkeit nachgehen. "Der Pirat die Spanische See durchjettet/ Sein Schiff kurvt eine Markow-Kette/ Er lehnt am Bug, trinkt Sekt-Limette" und fragt sich dann, ob der Papagei eine wesentlich andere Erfahrung vom Meer hat als er. Einst "terrorisierten sie Touris auf Bali/ und der Biennale in Venedig", dann diskutieren sie mit ihrem alten Freund "Schlappnik-jetzt-bin-ich-Dschihadnik" oder kentern ein türkisches Schlachtschiff zu russischer Musik.

Anekdoten, Gespräche und kurze Abenteuer wechseln einander ab, die typografische Gestaltung gibt den Sprechsituationen visuell Raum. Ostashevskys rasantem Strom aus Reimen, Rhythmen, Referenzen auch im Deutschen gerecht zu werden, war die Herausforderung der Lyrikerinnen Monika Rinck und Uljana Wolf. Ihre Übersetzung, mit dem Original in einem Band erschienen, kann in Sachen Tempo, Gelehrsamkeit und Witz über weite Strecken mithalten. Nur selten trifft man auf zu viel Seminarhumor, etwa wenn bei einem Piraten-Party-Rap das Lob "Ihr seid wie Buddenbrooks auf guten Drugs" fällt.

Die Piraten-Folklore und gelehrigen Verweise staffieren aber kein steriles linguistisches Labor, in dem ausgetüftelte Experimente ablaufen. Die Gedichte zeigen immer wieder, dass die Theorien und Termini, mit denen der Pirat gerne hantiert, große Folgen für das Zusammenleben nie ganz identischer Wesen haben.

Das wird am dringlichsten, wenn Pirat und Papagei auf einer einsamen Insel stranden und mal wieder in Streit geraten, da der Papagei die Menschensprache besser beherrscht als der Pirat. Er behauptet, ein Papagei könne noch so viele Wörter lernen, er werde sie nie so fühlen wie ein Mensch. Später bekennt er: "Ich möchte so gern wissen, wie es sich anfühlt, in einer anderen Sprache zu sein".

Der ganze Band aber widerspricht dem Piraten, seinem Vorwurf wie seinem Wunsch. Er zeigt, dass es einen Abstand zur Sprache braucht, und das Bewusstsein, dass keine Sprache nur "meine" ist, sondern viele Sprachen verschiedener Zeiten und Sprecher, unter dem Namen "Englisch", in einem Augenblick kollidieren oder koalieren. Zugleich ist, so gesehen, jede Sprache Papageiensprache, eine Folge von Lauten, die immer Gefahr läuft, nachzuplappern, die nichts bedeuten muss und sich vielleicht auf nichts bezieht.

Es ist das Verdienst des Skeptikers Ostashevsky, dass in den polyfonen, gewitzten Texten gerade diese Brüchigkeit spürbar wird.

Eugene Ostashevsky: Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Englischen von Monika Rinck und Uljana Wolf. Kookbooks Verlag, Berlin 2017. 120 Seiten, 19, 90 Euro.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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