Lyrik:Flimmerhärchen überall

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Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2016. 128 Seiten, 18 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: verlag)

In ihrem neuen Gedichtband "Gespür für Licht" versammelt die 1980 in Mecklenburg geborene Lyrikerin Kerstin Preiwuß emphatische Daseins-Momente und tastet nach den Lücken im wundersam unvertrauten Gefüge der Dinge.

Von Nico Bleutge

In einem kleinen Essay hat Kerstin Preiwuß ihre Idee vom Gedicht einmal mit einem Bild von Matisse verglichen: "Ich stand vor diesem Scherenschnitt, der ein großes Bild war, aber aus gefärbter Luft, und fühlte mich beruhigt. Als wäre ich der Notwendigkeit enthoben, am großen Denkgeräusch mitzuarbeiten, als könne ich Pause machen und einfach nur schauen und verharren. Das war das Meer, was ich da sah, das war das Meer und zugleich der Himmel, das war das Meer, das in den Himmel gewendet war."

So ähnlich wie diese Meereslandschaft kann man sich die Gedichte von Kerstin Preiwuß vorstellen. Nur, dass die Fische hier manchmal Käfer sind und die Farben Wörter. Oft beginnen die Gedichte mit einer unscheinbaren Wahrnehmung: Eine Amsel badet im Staub, ein Finger zeichnet etwas auf den Körper - oder ein Käfer liegt rücklings im Garten. Doch so unscheinbar die Dinge auch sein mögen, sie bleiben nicht für sich: "Mittags lagen alle Käfer auf dem Rücken. / Als ich den ersten umdrehen wollte sah ich / dass er der Anfang einer Kette von vielen war". Und so werden die Käfer zu Schwalben und Tauben, verbinden sich mit Erinnerungen und Gedanken, machen nach und nach die unsichtbaren Elemente sichtbar.

Immer wieder schleust Preiwuß Sprache und Motive des Märchens ein

Aber das ist nur die eine Seite der Gedichte. Zugleich lockern sie die kausalen Bänder, kehren die vertraute Logik um - auf dass nur das Gefühl bleibe, "wie alles mal zusammenhing". Wie ein großes Selbstgespräch folgen die Gedichte dem Lauf der Jahreszeiten, holen Bilder einer Schwangerschaft und ihres Abbruchs in die Zeilen. "Kaum zu fassen Flimmerhärchen überall auch innen", heißt es zu Beginn, und mit einem gekonnten lautlichen Schlenker: "Atme ich atmet es mir nach". Doch das Atmen ändert sich wie der Rhythmus. Die Luft wird dünn, und "das Auge dreht sich wie irre". Bis der Atem des "Walnusskinds" reißt.

Wie in ihrem Gedichtband "Rede" (2012) tastet Kerstin Preiwuß, die 1980 im mecklenburgischen Lübz geboren wurde, nicht nur emphatischen Momenten nach, sondern auch den Lücken im Gefüge der Dinge - und jener fragwürdigen Instanz, die sich "Ich" nennt. Und wie dort schleust sie die Sprache und Motive aus Märchen in ihre Verse. Dabei können die Figuren auch reale Lebewesen sein wie die "Aalmutter", ein kleiner nordatlantischer Fisch, oder die Wölfin, die eine Spur im Schnee hinterlässt.

Über verschleppte Reime oder metrische Anleihen nähert Preiwuß die Gedichte bisweilen dem Gesang an - doch bleiben sie stets nur "fast ein Lied". Eine kunstvolle Einfachheit bestimmt den Ton. Nur dort, wo sie die Sprache selbst zum Thema machen ("Alle Vergleiche münden ins Nichts") oder allzu deutlich mit Redewendungen spielen, verlieren die Gedichte für Momente ihr Gleichgewicht. "es ist eine steppe in meinen mund gekommen / es ist der wind in meinem mund zum erliegen gekommen", heißt es in "Rede". Doch zum Erliegen kommen die Dinge wundersamerweise nie. In wechselnden Rhythmen kann jedes Ding seinen Namen gegen einen anderen tauschen, immer ganz nah am Körper und seinen Regungen und doch hoch bewusst für die Abstraktionen der Sprache - auf dass sie dauernd neue Möglichkeiten zeige und das Meer zugleich der Himmel sei.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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