London Virus:Apokalypse flau

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Louise Welsh: V5N6. Tödliches Fieber. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 352 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: verlag)

London ist ein verdammter Dampfdrucktopf geworden. Randalierer, Amokläufe, ein Virus. Eine Katastrophe steht bevor. Stevie ist immun, eine der wenigen, sie ermittelt in Louise Welshs Thriller "V5N6. Tödliches Fieber". A lovely way to Burn.

Von Nicolas Freund

Als sich Stevie nach ein paar kühlen Drinks in Soho beschwipst auf den Heimweg durch die Sommernacht macht, denkt sie noch, dass ihr Freund, der angesehene Chirurg Simon Sharkey, sie nur versetzt hat. Das ist gut möglich, denn ihre Beziehung ist bisher wenig mehr als eine wilde Affäre, und im heißen London ist gerade die Hölle los, besonders für Ärzte: Drei wirre Amokläufe hat die Stadt hinter sich, dazu grassiert ein aggressives Virus, das in vielen Fällen zum Tode führt und bereits Teile des öffentlichen Lebens zum Stillstand gebracht hat.

London ist in Louise Welshs neuem Thriller "ein verdammter Dampfdrucktopf", in dem schon eine Fahrt mit der U-Bahn die fragilen Außenwände der Zivilisation offenlegt, auf denen der angestaute Druck lastet. In treffenden Details skizziert der Roman eine unkontrollierbare Metropole, die sich von ihrem weltbekannten Zentrum aus endlos in jede Himmelsrichtung erstreckt, stets an der Grenze zum Ausnahmezustand. Um sich schießende Menschen und Killerviren fallen da zuerst gar nicht so sehr auf.

Stevie, ehemalige Journalistin und jetzt Trash-TV-Moderatorin, hat aber sowieso ganz andere Probleme als die drohende Apokalypse. Sie selbst hat das Virus nach einem Wochenende im Delirium abgewehrt, nur um die stinkende Leiche Simons in dessen Wohnung zu finden. Die Reporterin ist davon überzeugt, dass ihr Lover weder dem Virus noch einer anderen natürlichen Todesursache erlegen ist. Die überforderte Polizei interessiert das alles nicht. Also ermittelt Stevie auf eigene Faust.

Nur wenige Leichenfunde, Prügeleien und einen One-Night-Stand später ist aus der mädchenhaften TV-Moderatorin eine Schnüfflerin in bester hard-boiled-Tradition geworden, die sich die Haare abrasiert, um nicht erkannt zu werden, mit einem geklauten Jaguar durch London brettert und in der Handtasche einen Revolver griffbreit herumträgt, während man als Leser erwartet, dass angesichts der Anarchie in der Stadt jeden Moment eine Zombiehorde um die Ecke biegt.

Welshs Roman mit dem in der deutschen Übersetzung zugleich nüchternen und reißerischen Titel "V5N6. Tödliches Fieber" (im Original: "A Lovely Way to Burn" - schönster Mädchenzynismus) ist ein unterhaltsamer Genremix aus Krimi, Wissenschaftsthriller und Katastrophendrama. Das glaubwürdig geschilderte London am Rande zum Kollaps ist unverbrauchte und trotzdem vertraute Kulisse für die Spurensuche Stevies. Welsh hat mehrere Romane vor dem Hintergrund der Viruskatastrophe geplant, der zweite ist unter dem Titel "Death is a Welcome Guest" bereits auf Englisch erschienen.

Zu mehr als einer Kulisse aus randalierenden Banden und verwaisten Straßen wird die Katastrophe in diesem ersten Buch aber noch nicht. Was die zusammenbrechende Gesellschaft für die Kriminalhandlung bedeutet, die immer auf die Wiederherstellung einer sozialen Ordnung abzielt, lässt der Roman unbeantwortet. Krimi und Katastrophe greifen nicht ineinander. Der Roman setzt auf eine taffe Ermittlerin, die von einer bedrohlichen Situation in die nächste gehetzt wird und sich, umgeben von Leichenbergen, immer nur für den einen Toten interessiert. Dabei gäbe es im außer Kontrolle geratenen London noch viele andere Geheimnisse aufzudecken.

Louise Welsh: V5N6. Tödliches Fieber. Roman. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 352 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.

© SZ vom 12.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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