Literaturfest:Zweimal wenig ist nicht viel

Lesezeit: 2 min

Nicht ganz befriedigende Diskussionen im Ampere und Literaturhaus

Von A. Steinbauer, S. Reithmaier

Njet - Nein. Das ist jeweils das erste Wort, das man von den beiden russischen Schriftstellern hört, die im Ampere über die Geister der sowjetischen Vergangenheit diskutieren. Sie stellt erst mal richtig, dass die Protagonistin in ihrem Buch "Die Terrakottafrau" keine eheähnliche Beziehung mit ihrer Freundin unterhält, so etwas gebe es in Russland nicht. Und er mag gar nicht klären, auf welches biografische Detail sich sein Nein bezieht: die Chefredakteurstätigkeit bei einer Zeitschrift oder seine Mitgliedschaft bei den Nationalbolschewiken.

Dasselbe Anfangswort ist allerdings so ziemlich das Einzige, was Elena Chizhova und Zakhar Prilepin gemein haben, auch wenn Moderator Olaf Kühl verzweifelt versucht, über Berührungspunkte der Literaten zu sprechen. Zwei Generationen sitzen hier, die das Erbe der Sowjetunion sehr unterschiedlich bewerten: Chizhova, 1957 in Leningrad geboren, möchte mit dem "Mythos der Sowjetunion" aufräumen. Prilepin, Jahrgang 1975, kämpfte im Zweiten Tschetschenienkrieg, stieß Mitte der 90er zu den Nationalbolschewiken und ist Mitbegründer der zeitgenössischen Kriegsprosa. Und derzeit der vielleicht wichtigste Autor für jene junge Russen, die wieder nationale Werte betonen. Er findet auch nicht alles schlecht an der alten Sowjetunion. Sein neuer Roman "Sankja", wurde zu einem Manifest der extremen Rechten. Chizhova dagegen hat in der Sowjetunion gelebt und unter ihr gelitten. Sie erzählt, wie sich ihr Exmann weigerte, für den KGB zu arbeiten - und sie dafür bezahlen musste, mit Schlägen auf offener Straße. Dem hält Prilepin Zahlen und Sätze bar jeglicher politischen Korrektheit entgegen. Die Diskussion ist hitzig, die Stimmung angespannt.

Für die Autorin Elena Chizhova ist auch das aktuelle Russland ein unglückliches Land, dem nur ein "Wunder" helfe. Als Zakhar Prilepin darauf die Toten im Donbass leugnet, wird klar: Hier sitzen zwei unvereinbare Positionen. Aber auch zwei Geister, die stets verneinen. Ob sie Böses wollen und Gutes schaffen oder umgekehrt, ist Ansichtssache.

Der Mensch brauche ein Minimum an Offenheit, Neugier und Erlebnisbereitschaft, um gelangweilt werden zu können, schreibt Rüdiger Safranski in seinem neuen Buch "Zeit" (Hanser). Dieses Minimum brachten die Zuhörer im ausverkauften Saal des Literaturhauses zweifelsfrei mit. Da sich aber zwischen den Gesprächspartner auf dem Podium, dem Bestsellerautor selbst und der Philosophin Rebekka Reinhard, kein wirklicher Disput entwickeln wollte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als an sich selbst zu studieren, was die Zeit "mit uns macht und was wir aus ihr machen", so der Untertitel des neuen Werks. Getreu Safranskis These, jede Langeweile sei auch mit einem unbestimmten Warten verbunden, übte man sich in Geduld und der Hoffnung, dass es Reinhard doch noch gelinge, eine Frage auf den Punkt und ein Gespräch in Gang zu bringen. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, ob das Nachdenken über die Zeit Safranskis eigene Zeitnutzung verändert hat und was aus der Erkenntnis, dass die Demokratie langsamer als die Finanzmärkte arbeitet, zu folgern wäre. Oder wie die im vierten Kapitel beschriebene unheilige Allianz zwischen Terror und Medien verhindert werden könne.

Nichts davon erfüllte sich. Daher blieben die besten Momente diejenigen, in denen Safranski vorlas. Denn im Buch lotst er den Leser, flankiert von deutschen Dichtern und Denkern, kurzweilig und amüsant durch eine Fülle an zeitlichen Erfahrungen, beginnend mit der Langeweile bis hin zur Vorstellung der Ewigkeit.

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: