Literatur:Wochen auf dem Parnass

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Der seit 30 Jahren erscheinende Arche-Literaturkalender ist eine Ikone. 2015 heißt das Motto "Feste und Feiern". Ein Foto daraus, mit Franz Werfel, ist einen genaueren Blick wert.

Von Volker Breidecker

Arthur Miller und Inge Morath auf dem Weg zu einer Gala, Zelda und F. Scott Fitzgerald schwingen das Tanzbein vor dem Weihnachtsbaum, die Pariser Surrealistencrème in einer Sylvesternacht. Es sind vorwiegend seltene oder unbekannte Autorenfotos, die die beiden ehemaligen Arche-Verlegerinnen Elisabeth Raabe und Regina Vitali in Zusammenarbeit mit dem Grafiker Max Bartholl seit nunmehr dreißig Jahren mit Zitaten und literarischen Selbstzeugnissen collagieren und zu Kalenderblättern gestalten. Das zugehörige Kalendarium hält im Tagesrhythmus die Geburts- und Todesdaten bedeutender Autoren der Weltliteratur fest ( Arche Literatur Kalender, Hamburg 2014, 60 Blatt, 22 Euro).

Mit stets gleichbleibendem Gesicht ist der Arche-Literaturkalender längst zur Ikone geworden. Das soeben angebrochene Jahr steht unter dem Motto Feste & Feiern, so auch das von uns daraus entnommenen Bild: Unter der Überschrift "Parnass 1911/12" war das Foto in der legendären Zeitschrift Der Querschnitt, dem "Magazin für Ewigkeitswerte" von 1930, zu sehen. Kalendarischer Anlass für den Wiederabdruck ist der Geburtstag von Franz Werfel, der sich am 10. September zum 125. Mal jährt. Ganz links, zu Füßen der zur Pyramide gruppierten Leipziger Festgesellschaft, sitzt der junge Dichter und wirkt, wenn nicht nur vom Wein beseelt, ein wenig traumverloren neben der unbekannten Lautenspielerin zur Seite. Stattliche Figur macht - stehend darüber - Werfels Lektor Kurt Pinthus aus dem legendären Verlag von Kurt Wolff.

Bühnenstars ihrer Zeit, die jedoch nicht nur Gutes und Festliches mit ihnen im Schilde führte, bildeten das Paar in der Mitte: Die 1887 in Riga geborene Lettin Marija Leiko hatte schon eine bewegte Biografie hinter sich, als sie mit 22 Jahren, von der zaristischen Polizei des "Trotzkismus" verdächtigt, nach Westen fliehen musste. Sie stand in Wien, Leipzig und Frankfurt am Main auf der Bühne und tanzte in Filmen wie "Lola Montez" von 1920. Nach Anbruch des Nationalsozialismus kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück, wo sie 1938 als angebliche "Konterrevolutionärin" von Agenten des NKWD erschossen wurde. Der Mann mit Zigarette, der sich an sie anlehnt, ist Jacob Feldhammer, 1882 in Czernowitz geboren, der in Berlin dem Ensemble Max Reinhardts angehörte und später nach Leipzig, Berlin und Wien wechselte, wo er als Jude seit 1934 kaum noch ein Engagement fand. 1938/39 soll er sich zur Flucht nach England entschlossen haben, blieb aber in Italien hängen, wurde 1943 in Mailand von der Gestapo verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo er kurz nach der Ankunft am 23. Mai ermordet wurde.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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