Literatur:Von den Socken

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Das Exil sei "eine harte Nuss", schreibt der syrische Dichter Yamen Hussein. Mit Said tauscht er sich nun darüber aus. (Foto: Florian Peljak)

Der syrische Autor und Journalist Yamen Hussein lebt als PEN-Stipendiat in München, seine Gedichte erzählen nicht nur von der Symbolik eines Strumpfes

Von Antje Weber

Da wäre zum Beispiel die Sache mit den Strümpfen. Immer wieder tauchen sie in den Texten von Yamen Hussein auf. Mal schreibt er davon, "einen Strumpf in den Himmel zu werfen". Mal schreibt er von Socken, die in seiner Münchner Wohnung liegen blieben, als Freunde und Fremde nach ihrer Flucht bei ihm Station machten. "Sockenpaare unterschiedlichster Farben" beschreibt er, die nur an den großen Zehen die gleiche Farbe angenommen hatten: "geronnenes Blut von der langen Wanderschaft".

Yamen Hussein lächelt, wenn man ihn auf die Socken anspricht. "Die syrische Gesellschaft ist sehr bunt", sagt der aus Homs stammende Autor und Journalist dann. Er erzählt von Strümpfen, die an Weihnachten bei Christen am Tor hängen; er selbst ist Alevit. Er erzählt aber auch von jenem Freund, der auf der Flucht 13 Tage zu Fuß von einem Land zum anderen wanderte und tatsächlich mit blutigen Strümpfen bei ihm ankam. Und er erwähnt, dass es in Syrien kein Öl mehr für die Heizungen gebe und Socken sehr wichtig seien: "weil die Füße immer kalt sind".

Ursprünglich hat der Autor und Journalist, der seit zwei Jahren als Stipendiat des Writers-in-Exile-Programms des deutschen PEN in München lebt, Mathematik studiert. Doch als er vor gut zehn Jahren als 22-jähriger Student begann, in Artikeln Kritik am universitären System zu üben, geriet er schnell in den Blick des Geheimdienstes. "Ich war noch ein bisschen jung", sagt er auf Deutsch, "aber ich habe eine mutige Mutter." Die bestärkte ihn darin, keine Angst zu haben; sie selbst wies die Männer vom Geheimdienst an der Haustür ab. Hussein wurde von der Universität geworfen, von der Polizei in Gewahrsam genommen, verhaftet. Er machte weiter, berichtete unter anderem 2011 für einen Fernsehsender von der Protestbewegung aus Homs und Hama, war Gründungsmitglied eines friedlichen Jugend-Protestbündnisses. Fragt man ihn heute, ob sich Mut erlernen lasse, sagt er nur: "Ja."

Trotzdem wurde die Belastung, die in Morddrohungen von staatlicher sowie religiös fundamentalistischer Seite gipfelte, für ihn irgendwann zu groß. Yamen Hussein flüchtete in den Libanon - und war dabei selbst tagelang zu Fuß im Gebirge unterwegs -, dann in die Türkei. Nun also lebt er in München im Exil und ist in Gedanken doch oft in Syrien, zum Beispiel bei den Eltern in Homs; vergangene Woche erst sei dort wieder eine Rakete in der Nähe des Hauses eingeschlagen, erzählt er.

Das Exil ist "eine harte Nuss", schreibt Hussein denn auch in einem Gedicht, das in diesen Tagen in der PEN-Anthologie "Zuflucht in Deutschland" (S. Fischer Verlag) erscheint, "knackst du sie mit den Zähnen, bricht sie entzwei". Und natürlich ist vieles hier nicht einfach für ihn: "Freunde zu finden", zum Beispiel, dabei hatte er in Syrien so viele; immerhin leben etliche von ihnen, ebenfalls geflüchtet, inzwischen in Berlin. Auch "das Spontane" fehlt Hussein in München ein wenig, das Ungeordnete, Naturbelassene: Warum man jedes bisschen Schnee sofort mit Maschinen wegkehren müsse, fragt er zum Beispiel.

Doch von solchen "Nachteilen", wie er es nennt, erzählt Hussein nur auf Nachfrage. Er wolle "nicht in Frustration" verharren, sagt er. Er ist froh, nicht mehr in Gefahr zu sein - auch wenn er immer noch nicht ganz frei zu reden wagt, um die Eltern nicht Repressalien auszusetzen. Doch er sieht es positiv, eine neue Sprache und Kultur, neue Menschen kennenzulernen: "Ich lerne überall etwas." München bezeichnet er inzwischen als eine Heimatstadt; am Nymphenburger Kanal spaziert er entlang, wenn er traurig ist. Und: "Ich schreibe - das ist meine Lösung für mich." Er schreibt, seit er Kind ist; Literatur könne "dokumentieren und neue Antworten auf viele Fragen geben", glaubt er. Anders als im Journalismus, wo es vor allem darum gehe, was genau passiert sei, könne man in der Literatur seine Gedanken und Gefühle besser ausdrücken. Es macht Yamen Hussein zudem einfach Spaß, dieses "Spiel" mit Worten. Und obwohl er bisher noch auf Arabisch schreibt, merkt er doch bereits: "Die deutsche Sprache beeinflusst meine Weise zu schreiben." Das Deutsche sei "eine sehr logische Sprache" und zugleich "romantischer, als ich es erwartet habe".

Den Aufbruch in ein fremdes Land, eine neue Sprache hat Hussein schon mehrfach beschrieben; ob auf Podien in Buchhandlungen oder beim vergangenen Literaturfest, für das er sich mit Schuberts "Winterreise" auseinandersetzte. Für ein Projekt von BR und Literaturhaus ist er nun in einen Brief-Dialog mit dem aus Iran stammenden Dichter Said getreten, der bereits seit langem in München lebt. "Wir haben ähnliche Probleme", sagt Hussein; auch wenn sie verschiedenen Generationen angehören, auch wenn der eine vor 50 Jahren Probleme mit seiner Regierung bekam, der andere vor fünf.

"Ich habe Angst, Du zu werden", schreibt Hussein in einem der Briefe an Said, den er erst im Literaturhaus persönlich kennenlernen wird. Was gegen diese Angst hilft, für immer im Exil zu bleiben? Wie schrieb Hussein doch im Gedicht: "Unser Los ist es, einen Strumpf in den Himmel zu werfen" - und darauf zu warten, dass irgendetwas da oben "uns Geschenke bringt und die Wünsche erfüllt".

Yamen Hussein & Said , Donnerstag, 9. März, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1; "Radio-Texte": Sonntag, 12. März, Bayerischer Rundfunk 2, 11 bis 11.30 Uhr

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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