Literatur:Selbstoptimiert bis zum Stillstand

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Adelle Waldman stellt in der Buchhandlung Lehmkuhl "Das Liebesleben des Nathaniel P." vor, einen Gesellschaftsroman über das Beziehungselend intellektueller Großstädter

Von Christian Jooss-Bernau

Sie ist Journalistin, kurz vor 40, und lebt in Brooklyn. Als sie um die 30 war, versuchte Adelle Waldman einen 500-Seiten-Wälzer über eine jüdische Mittelklasse-Familie in Manhattan zu verkaufen. Das Projekt scheiterte. Nach einer ganzen Weile raffte sich Waldman zu einem neuen Versuch auf. Im Unterschied zum Erstling schrieb sich der nächste Roman gar nicht leicht, musste immer wieder nachjustiert werden. Im Oktober 2010 hatte sie ihr Buch fertig. Erst im darauffolgenden März überwand sie sich und schickte das Werk an ihren Literaturagenten. Ein paar Wochen später unterschrieb Waldman ihren Vertrag. Mittlerweile ist "Das Liebesleben des Nathaniel P." auf Deutsch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Tschechisch und Holländisch erschienen. Dänische, türkische und chinesische Übersetzungen sind in Vorbereitungen. Viel Aufmerksamkeit für einen Roman, der sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Ein Vertreter der intellektuellen Bohème Brooklyns wurschtelt sich durch sein Liebesleben.

Nathaniel Piven ist frisch getrennt, als man ihm das erste Mal begegnet. Er ist unterwegs zu einer Dinnereinladung seiner Ex und trifft dabei eine Frau, die er mal versehentlich geschwängert hat und die ihm dem Gesamtkomplex Abtreibung/Trennung noch übel nimmt. Das hört sich dramatischer an, als es ist, denn Waldman schafft es ganz verblüffend, das Unbehagen zum bloß Unbequemen zu verschieben. Nathaniel steht oft herum, im Kreise von Menschen mit weitgehend gleichen Interessen, unterhält sich über die eigenen und die Buchprojekte der anderen. Taxiert die Hintern der Damen. Beginnt eine vielversprechende Beziehung mit Hannah und ist sich sehr schnell nicht mehr sicher, ob in der Fülle der Möglichkeiten ausgerechnet diese Frau die Richtige ist.

In seiner Besprechung des Romans 2013 im New Yorker erzählt Sasha Weiss von einer Dame, die mit ihm im Zug sitzt und sehr hörbar an eigenen Beziehungsproblemen laboriert. Weiss will ihr das "Liebesleben des Nathaniel P." am liebsten gleich in die Hand drücken. Ein Schlüssel für den Erfolg des Romans ist wohl, dass man ihn als literarisches Werk wahrnehmen kann, einerseits, dass man ihn andererseits auch gut im Bereich der Ratgebereien rezensieren kann, wie sie die Seiten von Frauenmagazinen füllen. Idealerweise hat man dann beides und empfiehlt den Leserinnen einen Roman, der endgültig klärt, wie er tickt, der junge Mann im heiratsfähigen Alter.

Der besondere Reiz dabei, der auch in den Rezensionen deutlich ausgestellt wird: Hier schreibt eine Frau aus der Perspektive des Mannes, was die Sache um einiges interessanter macht als ein männlicher Autor, der seinesgleichen erklärt. Von Waldman erwartet man einen Erkenntnisflash, wie er in die Protagonisten von Body-Switch-Komödien fährt. Die Figurenzeichnung kommt diesem erkenntnispraktischen Rezensionsansatz zugute. Denn Nathaniel ist nicht wirklich ein Antiheld, zu dem man sich leicht verhält. Er hat sich aus der jüdischen Mittelschicht hinaufstudiert und -geschrieben in eine intellektuelle Szene hinein, in der er sich nie ganz angekommen fühlt. So steht er sich selbstreflektierend ständig im Weg, ist als Opfer seiner optionalen Lebensentwürfe auf traurige Art larifari unentschieden und entscheidet sich im entscheidenden Moment dafür, nicht zu handeln.

Die Zahl der Übersetzungen zeigt, dass der Roman eine Bestandsaufnahme eines verbreiteten wankelmütigen Selbstoptimierungswahns ist. Bestimmte urban-intellektuelle Soziotope gleichen sich mittlerweile weltweit, wie die Burgerketten in den Hauptstädten. Wobei das Zeitgeistige in diesem Roman immer wieder den Bezug zum Überzeitlichen sucht: Literaturfußnoten für den Überbau.

George Eliot wird mit "Middlemarch" zitiert. Waldman selbst hat, wie sie in einem Artikel schreibt, den Roman selber viermal gelesen. Auf dem Nachttisch von Hannah sieht Nathaniel "Die Briefe von Abaelard an Héloise", "Die Erziehung des Herzens" und "Die Kreutzersonate" liegen: "Bildete er sich das ein, oder gab's da ein durchgehendes Thema? Das waren Bücher über liebeskranke Frauen und über Männer, deren Gefühle kurzlebig waren." Wer sucht, der findet in Waldmans Roman Anschlussstellen an - Abaelard und Heloise einmal ausgeklammert - die großen, durchdringenden Gesellschaftsromane.

Sie selbst ist eine Verehrerin von Jane Austen, der gehe es, schrieb sie 2013 in einem Artikel für Slate, nicht um Ironie um der Ironie willen, vielmehr würden Austens Menschenporträts und Milieus durch moralische Dringlichkeit belebt. Ziemlich ähnlich sieht auch das Schreibprogramm für ihren "Nathaniel P." aus. Der fortwährend Zerfall seiner Beziehungen hat etwas Bohrendes, ein bisschen, als wäre die Sitcom "Seinfeld" eine Therapiesitzung ohne Fortschritt.

Als Nathaniel nach seiner gescheiterten Beziehung mit Hannah eine gute Ex-Freundin anruft, um sich trösten zu lassen, weiß er doch: "dass seine Probleme für sie die eines dekadenten New Yorkers waren, der seine Zeit mit selbstgefälligen privaten Dramen vertrödelte." Die folgenlose Selbsterkenntnis ist wohl der bitterste Dreh Waldmans. Einen Nachfolgeroman gibt es auch schon: "New Year's". Die Figur Nathaniel P. ist eben noch nicht aus jeder Perspektive durchleuchtet. Diesmal ist es seine gute Freundin Aurit, aus deren Sicht über den Liebeskasper erzählt wird. Waldman selbst ist raus aus dem Spiel, sie hat, während sie an ihrem Roman schrieb, geheiratet.

Adelle Waldman: "Das Liebesleben des Nathaniel P." (Lesung), Dienstag, 15. September, 20 Uhr, Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstraße 45

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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