Literatur:Selbst ist der Mensch

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Die israelische Schriftstellerin Mira Magén erzählt in ihrem jüngsten Roman "Zu blaue Augen" vom Suchen und Finden des Glücks im Privaten. Zur Lesung kommt sie nach München

Von Eva-Elisabeth Fischer

Mira Magén hat in ihren Roman offenbar viel von ihrer eigenen Lebenswirklichkeit einfließen lassen. (Foto: Tamir Lahav-Radlmesser)

Am Ende ist keine der handelnden Personen mehr dieselbe. Weder der schlaffe, irgendwie religiöse Rafi, der sich im Jerusalemer Haus von Hannah Jona einnistet, um es ihr im Auftrag eines Immobilienhais abzuluchsen, noch die alte Dame selbst, auch nicht ihre drei erwachsenen Töchter. Die Alte ist angeblich nicht mehr ganz richtig im Kopf, weshalb eine rumänische Pflegerin sie versorgt und beschützt. Diese Johanna ist es auch, die mit ihrem Hokuspokus das Leben aller und dabei auch ihr eigenes in Bewegung bringt und in neue Bahnen lenkt. Und dabei den Leser von Mira Magéns hinreißendem Roman "Zu blaue Augen" (dtv) erst einmal auf die falsche Fährte schickt.

Johanna nämlich hängt zur Abwehr des bösen Blicks rote Blusen vors Haus. Und ihr 77-jähriger Schützling schneidet sich unvermittelt das Haupthaar ab, färbt es rabenschwarz, trinkt in Bars und macht die Kerle an. Auf seinen ersten Seiten also lässt sich das in Israel höchst erfolgreiche Buch an wie das Epos um eine unwürdige Greisin und ihren Clan, erzählt mit den Mitteln des magischen Realismus.

Fehlalarm. Die israelische Schriftstellerin, die bis heute zu ihrer ostjüdisch geprägten, orthodoxen Herkunft steht, die Psychologie und Soziologie studiert und unter anderem als Lehrerin und als Krankenschwester gearbeitet hat, weiß nur zu genau, dass Menschen erst einmal sichtbare Tatsachen schaffen, um tiefgründigere Veränderungen einzuleiten. Wenn sich Frauen, egal welchen Alters, die Haare abschneiden, tun sie das entweder aus Liebeskummer und/oder um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Hannahs zweiälteste, Simona, Ärztin in einem Sterbehospiz, deren Mann im letzten Krebsstadium dahinsiecht, legt nicht selbst Hand an, sondern geht immerhin zum Friseur für ihren punkigen Kurzhaarschnitt.

Liebeskummer? Nicht wirklich. Denn die Frauen und Männern in dieser Geschichte haben keine Liebe, aber eine Sehnsucht danach. Der immer gleiche Alltag hat sie abgestumpft. Sie funktionieren als Gewohnheitstiere, leben aber nicht. Aber sie schaffen den Um- und den Aufbruch. Sie nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und erschaffen sich im Privaten neu. Und erleben vielleicht sogar eine Liebe. Simona wird sich mit dem eingefrorenen Samen ihres Mannes schwängern lassen. Jardena, die Ältere, lässt sich versetzen und zieht mit ihrer Tochter ebenso aus und um wie Orna, die Jüngste der drei. Mutter Hannah findet ihre Liebe in Bruno, einem Holocaust-Überlebenden in einem Altenheim - zwei mit zu blauen Augen. Sie erblüht wie die just gepflanzten Gartenblumen in ihrem vormals verwahrlosten Hof. Ob der plötzlich listig-findige Rafi seine Vermieterin am Ende übers Ohr haut, wird natürlich nicht verraten.

Soviel aber schon, dass all diese allzu menschlichen Menschen mit ihren Macken und Nöten so lebendig werden, dass sie nicht nur im existenziell dauergebeutelten Israel als handfeste Mutmacher taugen. "Hannah Jona hielt die Augen geschlossen, sie lauschte dem Plätschern des Glücks in sich und betastete ihre hageren Rippen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte und dass das alles wirklich geschehen war." Mira Magén, die Frau, die diesen schönen Satz niederschrieb, will man doch kennenlernen. Das geht, am kommenden Montag im Ruffini.

Mira Magén: Zu blaue Augen ; Montag, 27. März, 20 Uhr, Café Ruffini, Orffstr. 22

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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