Literatur:Jux und Feierei

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Wie der Bayerische Buchpreis in diesem Jahr an Reiner Stach und Angela Steidele ging

Von Antje Weber

Die roten Ziegelwände der Allerheiligenhofkirche schimmern gülden im Licht. An feierlicher und zugleich warmer Atmosphäre ist die einstige Kirche der Residenz kaum zu überbieten - um wie viel mehr noch, wenn man sich klarmacht, dass König Ludwig II. hier gern gebetet hat. So erzählt es Angela Steidele, vom ehemaligen Altar aus auf eine große Schar von Andächtigen blickend: Der Fußboden jedoch sei damals aus buntem Marmor gewesen, sagt sie, und die Wände waren goldverkleidet, allerdings mit "hässlichen Heiligenbildern" verziert.

Woher die Schriftstellerin das so genau weiß? Nun, sie hat eine Menge recherchiert für ihr Buch "Rosenstengel", das schon im Untertitel darauf hinweist: "Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II.". Für ihren historischen Briefroman bekam Steidele am Donnerstag den Bayerischen Buchpreis für Belletristik, und ihre ortskundigen Dankesworte zeigten: Besser könnte es nicht passen. Dass Steideles Thema so schön bayerisch ist, wird ihr bei der Entscheidung sicher nicht geschadet haben, doch das verwendete die Jury natürlich nicht als Argument. Dies wiederum wissen alle Zuhörer ganz genau, denn sie waren bei der Jurysitzung dabei: Zum zweiten Mal bereits kam eine Runde aus drei Kritikern in der Allerheiligenhofkirche zusammen, um in einer einstündigen Diskussion einen Preisträger im Sachbuch und in der Belletristik zu ermitteln.

Eine Sanduhr zeigte Franziska Augstein, Carolin Emcke - die diesmal den Vorsitz übernahm - und Denis Scheck dabei mahnend an, wie schnell Minuten und Argumente zerrinnen können. Doch Widerspruch belebt natürlich die - auch diesmal wieder sehr unterhaltsame - Diskussion: "Profis bei der Arbeit zu beobachten, ist schön", dieses Dankes-Fazit von Sachbuchpreisträger Reiner Stach teilten wohl die meisten Gäste aus der Buch- und Verlagswelt.

Um gleich sämtliche Preisträger zu nennen, die vom Bayerischen Landesverband des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und vom Bayerischen Staat einen Löwen sowie im Fall von Steidele und Stach noch je 10 000 Euro aufs Konto überwiesen bekamen: Der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk, überreicht von Staatsministerin Ilse Aigner, ging in diesem Jahr an Kinderbuchautorin Cornelia Funke. Leider war sie nicht aus den USA angereist und dankte nur in einer Videobotschaft, bei der ihre dumpfe Stimme direkt aus den Tiefen der Ozeankabel zu gurgeln schien.

Von Kabeln zum Kabbeln: Das blieb bei den drei Diskutanten, die den Hauptteil des Abends bestritten, natürlich nicht aus. In der Sparte Sachbuch hatte Franziska Augstein das Buch "Als Deutschland noch nicht Deutschland war" vorgeschlagen, Bruno Preisendörfers Reise in die Goethe-Ära: eine offensichtlich viel chaotischere Zeit, als uns bisher bewusst war. So amüsant und klug Augstein das Buch auch fand, sie drang damit bei Scheck und Emcke nicht ganz durch. Emcke hatte sich eigentlich auf Monika Rincks Essayband "Risiko und Idiotie" versteift, den sie "überragend brillant und originell" fand. Letztlich honorierte sie jedoch mit Denis Scheck - der als eloquentes Alphatier auch in diesem Jahr wieder seine beiden Vorschläge durchbrachte - das Lebenswerk von Kafka-Spezialist Reiner Stach. "Er hat mir ein neues Kafka-Bild vermittelt", staunte Scheck, das nach Selbstauskunft "lernfähige männliche System".

In der Belletristik wurde zwar Ulrich Peltzers "Das bessere Leben" von allen dreien als glänzender Gesellschaftsroman gelobt, doch es reichte nicht für den Preis. Auch nicht bei Frank Witzel, dessen seit dem Deutschen Buchpreis sattsam bekannter Bandwurm-Buchtitel hier aus Platzgründen entfällt. Scheck entdeckte nur eine Gemeinsamkeit mit dem 800-Seiten-Wälzer: "Wir beide müssen abnehmen!" Dem widersprach Emcke zwar höflich, dennoch siegte am Ende der rosa schillernde "Rosenstengel", den alle drei in die Höhe hielten. All jene, denen sich der "große Jux" dieses Briefromans nicht sofort erschließen mochte, konnten sich mit dem Scheck-Satz trösten: "Schön saufen kann ich mir alles!" Zu diesem Zwecke begab sich die Gesellschaft sogleich beschwingt in den Kaisersaal.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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