Literatur:Im Netz der Gefälligkeiten

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Betrug und Selbstbetrug: Stoff findet Gianrico Carofiglio in der italienischen Gesellschaft reichlich. (Foto: Francesco Carofiglio)

Einst Staatsanwalt, heute Schriftsteller: Der Italiener Gianrico Carofiglio ist beim Krimifestival mit seinem brisanten Korruptions-Thriller "Eine Frage der Würde" zu Gast

Von Anne Goebel

Gianrico Carofiglio mag seine Bücher. Das klingt vielleicht erst einmal absurd - Kunststück, sie zu mögen, er hat sie schließlich geschrieben. Aber es passiert gar nicht so häufig, dass Autoren ungezwungen und gern über das eigene Werk sprechen, und im Fall des italienischen Bestseller-Lieferanten wirkt das nicht einmal eitel. Eher so, als blicke er aus nüchterner Distanz auf sein Schaffen, und im Fall des neuen Bands um den Anwalt Guido Guerrieri findet er eine Spätabend-Episode ziemlich gelungen. Der Anwalt um die Fünfzig, erfolgreich, alleinstehend, trifft in einer Nacht-Buchhandlung für einsame Schlaflose auf eine schöne Frau, versinkt mit ihr in ein Gespräch über Poesie - und geht danach allein nach Hause. "Meine Lieblingsszene in dem Buch", sagt Carofiglio. Dabei ist das Werk eigentlich ein brisanter Korruptions-Krimi, aber der Süditaliener hat eben auch ein Faible für Helden, die im Grunde zaudernde Melancholiker sind. Diese Mischung ist Teil seines Erfolgs.

"Eine Frage der Würde" (Goldmann Verlag) heißt das neue Buch, auf Deutsch mit dem unvermeidlichen Untertitel "Ein Fall für Avvocato Guerrieri" versehen: Mit einer Schar immer neuer Commissari, Carabinieri und anderer Ermittler werden ja hierzulande seit Jahren Kriminalromane aus Italien nach ein und demselben Schema vermarktet - kein Leser kann da den Überblick behalten, und ob diese Strategie die tatsächliche Vielfalt der Schriftsteller und Protagonisten abbildet, ist sowieso eine andere Frage. Gianrico Carofiglio wird in seiner Heimat jedenfalls dafür geschätzt, heikle Themen anzupacken und dabei das süffige Erzählen nicht zu vernachlässigen. Das gelingt dem Autor aus Bari so gut, dass er sich seit einigen Jahren ganz auf das Schreiben verlegt hat und nicht mehr als Staatsanwalt vor Gericht agiert. In dieser ersten Karriere hatte sich Carofiglio einen Namen als hartnäckiger Antimafia-Spezialist gemacht. Damit gewinnt man in einer Region des Südens wie Apulien nicht nur Freunde - für die Glaubwürdigkeit seiner Bücher (und für ihren Erfolg) spielen die Erfahrungen aus dem echten Leben aber eine wichtige Rolle.

Ein Einwanderer aus dem Senegal, dem ein Mord vorgeworfen wird, ein braver Familienvater, in Drogengeschäfte verstrickt: Das sind Fälle, derer sich der eigenbrötlerische Guido Guerrieri so annimmt. Es geht dabei auch immer um den kleinen und großen Selbstbetrug der italienischen Gesellschaft von heute, um die Frage nach latentem Rassismus, nach Abgründen hinter der bürgerlichen Fassade. Und natürlich, Ehrensache bei Carofiglio, kämpft der Avvocato stets unerschütterlich für die Wahrheit. Fast immer zumindest, es sei denn, eine interessante Frau kreuzt seine Wege durch die Hafenmetropole Bari. Dann kann es zu Gewissenskonflikten kommen - und Carofiglio spielt sein erzählerisches Talent aus: Gerade bei der Schilderung der angedeuteten, fast zustande gekommenen oder gescheiterten Liebesaffären erweist er sich als psychologisch versierter Beobachter. Und meistens steht der schwermütige Guido abends wieder alleine vor dem Kühlschrank, lässt die gesunden Vollkornsachen liegen und kocht sich tröstliche Pastagerichte, immer mit der passenden Musik dazu.

Den neuen Fall um die "Frage der Würde" und einen hoch angesehenen, aber korrupten Richter möchte Carofiglio nicht als direkte Parabel auf die italienische Politik verstanden wissen. "Aber natürlich symbolisiert das auch ein Fehlverhalten, das leider in Politik und Verwaltung existiert." Er beobachte gerade in Italien eine Tendenz, offenkundige Fehltritte zu verharmlosen und zu rechtfertigen, zumal vor sich selbst. So unerbittlich der Roman die Praxis kleiner und großer Gefälligkeiten unter die Lupe nimmt, auch um selbstgerechte Trägheit in einem verzopften Justizapparat geht es - am Ende überhöht Carofiglio die Thematik zur philosophischen Frage nach Wahrhaftigkeit. Daher wirkt sein Blick auf gesellschaftliche Missstände stets nüchtern, aber nie verbissen.

Wobei der ehemalige Antimafia-Berater des italienischen Parlaments eigentlich Grund genug zur Desillusion hätte. Als Carofiglio vor einiger Zeit ein Amt im Freundeskreis des ehrwürdigen Teatro Petruzzelli in seiner Heimatstadt übernahm, kamen prompt unschöne Fälle von Korruption in der Theaterverwaltung ans Licht. "Im Grunde mache ich dort wieder das, was ich als Staatsanwalt gemacht habe", kommentiert Carofiglio trocken. Und wie geht es weiter mit Guido, dem einsamen Wolf? Findet er die richtige Partnerin, streift er seine Melancholie ab, wird er am Ende doch noch Vegetarier? Es hilft nichts, da bleibt der schreibende Jurist aus Bari verschlossen - es heißt abwarten bis zum nächsten Band.

Gianrico Carofiglio , Sa., 19. März, 19 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1, ausverkauft

© SZ vom 18.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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