Literatur:Die Unruhe der Anderen

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Im Schloss Bellevue führt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das weiter, was er als Bundesaußenminister bereits begonnen hat: die symbolische Aufwertung der Kultur als Bündnispartner der Politik. Diesmal mithilfe von prominenten Schriftstellern.

Von Lothar Müller

Manchmal steckt die entscheidende Botschaft nicht in den Worten, sondern in den Voraussetzungen, unter denen sie gesprochen werden. Der Bundespräsident hatte, vor Monaten schon, die Schriftsteller Salman Rushdie, Eva Menasse und Daniel Kehlmann ins Schloss Bellevue eingeladen, um mit ihnen über "Die Freiheit des Denkens in unruhigen Zeiten" zu sprechen. Mit anschließendem Empfang für das Publikum. Die Veranstaltung fand nun am Nachmittag eines Tages statt, an dem später der Bundespräsident am selben Ort die entscheidenden Gespräche zur Bildung der künftigen Bundesregierung führen würde. Ihre erste Botschaft war daher: Es gibt Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung, aber keine politische Krise.

Die zweite Botschaft war, dass Frank-Walter Steinmeier in seinem neuen Amt fortführt, was er als Bundesaußenminister begonnen hat, die symbolische Aufwertung der Kultur als Bündnispartner der Politik. Es liegt auf der Hand, dass angesichts des langen Schattens, den die Figur des "kritischen Intellektuellen" wirft, dabei der Verdacht der Instrumentalisierung der Kultur durch die Politik ausgeräumt werden muss. Steinmeier zitierte in seiner Eröffnungsansprache Ralf Dahrendorf, der die Intellektuellen einmal als die "Hofnarren der modernen Gesellschaft" bezeichnet hat. Ein guter Hofnarr, fügte der Hausherr auf Schloss Bellevue hinzu, lasse sich von seinem Schlossherrn nicht vereinnahmen: "Im besten Fall erweist er seinem Publikum gerade dadurch einen Dienst, dass er niemandem zu Diensten ist."

Rushdie verkörpert die Risiken, die einen modernen Hofnarren bedrohen können

Was sollen Autoren anderes tun, als sich dem, wie Eva Menasse, beherzt anzuschließen, oder wie Daniel Kehlmann daran zu erinnern, dass in den alten Zeiten, in die sein neuer Roman "Tyll" führt, der Hofnarr Angst um sein Leben haben musste, in der bundesrepublikanischen Gegenwart es aber zum Glück keines Mutes bedürfe, um den Hofnarren zu spielen?

Salman Rushdie, aus New York angereist, ist die leibhaftige Verkörperung der Risiken, die einen modernen Narren bedrohen können. In seinem jüngsten Roman "Golden House" tritt eine Joker-Figur auf, die sich unschwer als Donald Trump identifizieren lässt. Er hat den Roman aber lange vor der Wahl Trumps zum Präsidenten konzipiert und wehrte sich elegant gegen das Kompliment, er sei ein Repräsentant der prophetischen Potenziale der Literatur. Er habe mit Propheten eher schlechte Erfahrungen gemacht. Und so war seine Replik an den deutschen Bundespräsidenten ihrerseits ein Kompliment. Ihm, dem in den USA lebenden Autor, sei die Rolle des Hofnarren verschlossen, denn der Machthaber im dortigen Weißen Haus lese weder Bücher, noch lade er Autoren in sein Schloss. Salman Rushdie dementierte das Gerücht, er sei als eifriger Twitterer eine Art Anti-Trump in den sozialen Medien. Nein, er habe sich, um nicht gefälscht zu werden, aus diesem Raum zurückgezogen.

In dieser Desillusionierung über die sozialen Medien und der Sorge um den klassischen Raum der politischen Öffentlichkeit traf er sich mit Eva Menasse. Der Brückenschlag von Rushdies Diagnose der tief gespaltenen amerikanischen Gesellschaft zu einer Diskussion über die "unruhigen Zeiten" und innergesellschaftlichen Spaltungen der Bundesrepublik gelang dem Podium nicht recht, obwohl die Moderatorin Luzia Braun ihn herbeisehnte. So blieb die Unruhe am Ende doch eher die der anderen. Und das konkreteste politische Statement des Bundespräsidenten: sein neuerlicher Appell an die Türkei, sich im Fall Deniz Yücel und anderer inhaftierter Journalisten zu bewegen.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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