Literatur aus den USA:Wischfrei

Lesezeit: 2 min

Amy Hempel ist eine Meisterin der Lakonie. In den USA eine feste Größe, sind ihre wunderbar verknappten Storys hierzulande noch zu entdecken. "Was uns treibt" heißt der neue Band der Amerikanerin.

Von Viola Schenz

"Heute Morgen ist ein Druckfehler im Krankenhaus-Speiseplan." - Erste Sätze sollen fesseln, sonst sind sie schnell weg, die Leser. Amy Hempel ist eine Meisterin erster Sätze, ihre Kurzgeschichten beginnen absurd, komisch oder banal, so wie im Beispiel hier, aber alle machen sie neugierig: Man muss weiterlesen, immer weiter. So gut wie jeder ihrer Sätze fesselt, schon weil er keine Silbe zu viel mit sich trägt - die Kunst des Weglassens. Hempel liefert sprachliche Kondensate. Manche Absätze bestehen aus nur drei Wörtern, nicht damit das cool wirkt, sondern weil so alles gesagt ist. Ihre Geschichten sind so verknappt, dass sie stellenweise Gedichten gleichen. Amy Hempel ist Minimalismus.

Die 1951 geborene Amerikanerin ist im deutschsprachigen Europa ziemlich unentdeckt, in der angelsächsischen Welt hingegen bestens bekannt. Dichte lange weiß-blonde Haare, nettes Lächeln, sanfte Stimme - sie wirkt wie ein zufriedener Althippie, und tatsächlich hat Hempel in den späten Sechzigerjahren einen Teil ihres bewegten Lebens im Hippie-Zentrum Haight-Ashbury in San Francisco verbracht. So knapp wie ihr Stil ist ihr Œuvre. Gerade einmal vier Bändchen mit Erzählungen hat sie in den vergangenen drei Jahrzehnten veröffentlicht. Mit so wenig Output eine große Leserschaft anzuziehen, spricht für schriftstellerische Qualitäten, und die wurden mit entsprechenden Shortstory-Auszeichnungen geehrt. Hempel schreibt für Magazine, für Vanity Fair, Harper's, Playboy oder GQ. Und, wie es sich in Amerika für engagierte, erfolgreiche Autoren gehört, ist sie als Dozentin tätig, unterrichtet in Harvard "Creative Writing" - was sonst?

Verlust und Tod sind bei ihr zentrale Themen - ihre Mutter nahm sich einst das Leben -, aber nie wird es sentimental oder schwermütig, viele Geschichten sind auch einfach nur lakonische Einblicke in die Unzulänglichkeiten des Lebens: "Ich mache nichts, sie zahlen nichts - aber richtig geraten: Es ist besser als nichts."

Luxbooks, ein winziger junger Verlag in Wiesbaden mit der Mission, amerikanische Lyrik und Prosa jenseits der Breitenwahrnehmung neu- oder wiederzuentdecken, hat gerade mit "Was uns treibt" einen zweiten Band mit Hempel-Erzählungen auf Deutsch veröffentlicht (2013 erschien "Die Ernte"). Bereits 1985 sind sie unter dem Titel "Reasons to Live" als Debüt der damals 34-Jährigen in den USA erschienen. Fünfzehn sehr kurze Kurzgeschichten füllen gerade mal gut 100 Seiten. Warum erst jetzt auf Deutsch, dreißig Jahre nach dem Original? "Sie ist etwas scheu", sagt Verleger Christian Lux, "es ist gar nicht so einfach, mit ihr in Kontakt zu treten." Und: Hempel habe sich auch gewundert, dass ausgerechnet im "Übersetzerland" Deutschland ihre Bücher bisher nicht wirklich wahrgenommen wurden, während sie etwa längst ins Italienische übertragen sind. Aber, so Lux weiter: "Dreißig Jahre sind kein Problem, Hempels Geschichten haben etwas Zeitloses."

Stimmt. Trotz ihrer Kompaktheit strahlen sie Ruhe aus, vielleicht auch, weil man in eine prädigitale Welt eintaucht, in der kein Smartphone ständig fiept und brummt, in der kein Protagonist dauernd über ein Display wischt. Moderne Medien beherrschen inzwischen nicht nur den realen Alltag, sondern auch die Handlungen in Drehbüchern und Romanen. Und doch würde Hempels Stil prima ins Twitter-Zeitalter passen: Ihre Gedanken brauchen selten mehr als 140 Zeichen.

Amy Hempel: Was uns treibt. Aus dem Englischen von Stefan Mesch. Verlag Luxbooks, Wiesbaden 2015. 14,90 Euro.

© SZ vom 08.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: