Literarische Marktplatz:Das Kartenspiel Schwarzer Peter

Lesezeit: 2 min

Ein Bildband über historische Schwarze-Peter-Spiele und ihre Verlage.

Von Sybil Gräfin Schönfeldt

Als wir Kinder waren, kümmerten sich unsere Erwachsenen kaum um das, was man heute Freizeit nennt. Wir spielten unsere eigenen Spiele in den Gärten, am Bach, im Hainberg, und wenn es regnete oder zu kalt wurde, hockten wir bei den Nachbarskindern um den großen quadratischen Tisch und spielten, als ob wir dafür bezahlt würden: Fang den Hut und Halma, Flohhüpfen und Mühle, und immer wieder Schwarzer Peter.

Was für ein Spiel! Mit einem Minimum an Karten geben, ziehen, zu Paaren auslegen und ziehen lassen entsteht eine Spannung sondergleichen. Wer hat zum Schluss die singuläre Karte mit dem Schwarzen Peter? Wer bekommt dann mit einem über der Kerzenflamme angekokelten Pfropfen den Bart gemalt? Das jüngste Geschwisterkind nur als Tupfer auf Kinn oder Nasenspitze, das reicht für Graus und dennoch Stolz. Der große Bruder jedoch als kohlrabenschwarzen Räuberbart auf beiden Backen.

Unser Schwarzer Peter war ein Schornsteinfeger, und ich glaubte immer, das sei er in allen Spielen. Doch Klaus Thiel, ein anderer leidenschaftlicher Schwarzer-Peter-Spieler, der ähnliche Kindheitserinnerungen an das Schwarze-Peter-Spiel mit seinen Großeltern hatte, begann später alte Schwarze-Peter-Spiele zu sammeln. Etwa 120 Originalspiele aus den Jahren 1840 bis 1930 stellt er in dem großen Bildband Schwarzer Peter vor. Und so lernt man, dass diese Spielfigur kein historisches Vorbild in einem der Räuberhauptleute aus dem 19. Jahrhundert hat.

Illustration aus Klaus Thiel: Schwarzer Peter. Verlage und Spiele (1840 - 1930) (Foto: n)

Aber die Kartenpaare des Spiels blättern sich auf als eine erstaunliche Kulturgeschichte über hundert Jahre: Da werden Frauen in ihren ersten Berufen als Lehrerin, Sportlerin oder als Studentin dargestellt, der Bilderstil reicht vom Biedermeier über Historismus und Jugendstil fast zum Kubismus; die sich wandelnde Mode bis zur Hitlerzeit ist zu betrachten, und Kaiser und Zaren sind je nach politischer Lage die Guten oder die Bösen, also die Schwarzen Peter. Hagestolze und alte Jungfern werden karikiert, und der Schwarze Peter wandelt immer wieder seine Gestalt. Er ist Räuber oder Kater, Rabe, Krampus und Krüppel, am häufigsten aber ist er der Mohr, der Neger, der Jazz-Spieler, der stolze Eingeborene, der wulstlippige Nigger-Sklave. Noch entsprachen diese Gestalten der Konvention, werden unwidersprochen zitiert, halb in Gleichgültigkeit oder Unschuld, halb als Ventil für vielleicht sonst aus Höflichkeit oder Klugheit unterdrückte Vorurteile.

Nur ein Spiel? Ja, aber eins mit Bildern fürs Unbewusste. Mit erzieherischen Vorbildern genauso wie mit Munition für billige Vorurteile.

Bestaunen kann der Betrachter dieser Sammlung die schier grenzenlose Fülle der Berufe, Typen und Idole, die den Schwarzen Peter umspielen. Bestaunen kann man weiter die verschiedenen Kunststile und Drucktechniken, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausprobiert und in den Spielkarten verewigt wurden. Bestaunen kann man die Kreativität der jeweiligen Zeichner, die ihre Fantasie an den Paar-Figuren des Schwarzen-Peter-Spiels austoben konnten und den Kindern spielerisch einen ganzen Kosmos von Lebensmöglichkeiten zeigten.

Illustration aus Klaus Thiel: Schwarzer Peter. Verlage und Spiele (1840 - 1930) (Foto: n)

Erschrecken aber muss man, wenn einem durch diese bewundernswürdige Sammlung auch vor Augen gebracht wird, wie leicht man selbst durch etwas so Belangloses wie ein Kartenspiel beeinflusst werden kann. Ich kann wohl froh sein, dass unser Schwarzer Peter ein Rauchfangkehrer war.

Klaus Thiel : Schwarzer Peter. Verlage und Spiele. Lärchen-Verlag 2015. 214 Seiten, 32,50 Euro.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: