Lewis-Baltz-Retrospektive im Kunstmuseum Bonn:Unerbittlich wie eine Fabrikhalle

Einsame Fabrikhallen, verödete Siedlungen, ökonomisierte Lebensräume: Lewis Baltz etablierte mit seinen Aufnahmen eine kritische visuelle Sprache in der Fotografie. Sein Ziel bestand nie in der Überhöhung der Realität - im Gegenteil.

Georg Imdahl

1 / 8
(Foto: N/A)

Lewis Baltz war vierzehn Jahre alt, als er 1959 eine Ölstudie des kalifornischen Malers John McLaughlin zu Gesicht bekam. An den schneidenden Farbflächen prägten sich ihm spontan ihre "Härte, Einfachheit und erhabene Schönheit" ein - später erinnerte er sich an die "große, vibrierende Leere" und die ungewöhnliche "Nicht-Dingheit" in der Skizze des angesehenen Künstlers aus Los Angeles. Noch als Schüler erwarb Lewis Baltz das kleine Bild, um wenige Jahre darauf das Gespräch mit dem Ausnahmemaler der West Coast zu suchen. Text: Georg Imdahl, SZ vom 06./07.06.2012 McLaughlin empfing den jungen Fotografen 1969 und malte ihm die restaurierungsbedürftige Studie sogar neu. Er beschied seinen Gast aber, die Fotografie sei wegen der untrennbaren Bindung an den Gegenstand nicht geeignet, eine "reine Abstraktion" zu erzielen. Lewis Baltz: Unoccupied office, Mitsubishi, Vitre (FR), 1989-1991; aus der Serie 89/91 Sites of Technology © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln Die Retrospektive ist bis 2. September im Kunstmuseum Bonn zu sehen. Eine zweibändige Publikation (Steidl Verlag) kostet 39 Euro. www.kunstmuseum-bonn.de.

2 / 8
(Foto: N/A)

Baltz schwieg an dieser Stelle, denn eine solche Abstraktion war in jenen Jahren genau das, was er sich in der Fotografie vorgenommen hatte: eine kritische, visuelle Sprache zu etablieren für eine autonome, puristische Klarheit, die in den Sechzigern als exklusive Domäne namentlich der Minimal Art, bis heute der letzten Avantgarde der Abstraktion, galt. Mit verwegener Konsequenz hatte Baltz deren Maximen des "Buchstäblichen" und "Spezifischen" in der äußeren, sichtbaren Realität aufgespürt, vor allem aber in der eigenen Wahrnehmung. Sein Ziel bestand nicht in der Überhöhung der Realität durch das fotografische Bild, im Gegenteil: Baltz begründete ein ikonisches Vokabular für die Kritik an der Ökonomisierung und Standardisierung von Landschaft und Lebenswelt in Kalifornien. Man wundert sich noch heute, dass und wie diese unterschiedlichen Motivationen in seinen Schwarz-Weiß-Fotografien tatsächlich zusammenfinden konnten. Lewis Baltz: Organisation Europénne pour la Recherche Nucléaire (CERN), Geneva, 1989-1991; aus der Serie 89/91 Sites of Technology © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

3 / 8
(Foto: N/A)

Baltz war Student des San Francisco Art Institutes, als er 1967 nichtssagenden Fenstern, Fassaden und Mauerwerken, Schaufenstern, Parkplätzen und drögen Mietshäusern Bilder von verstörender Transparenz abgewann. Seine drei Serien "Prototypes", "Tract Houses" (Siedlungshäuser) und "Industrial Parks near Irvine, California", Werkreihen eines 25 Jahre alten Youngsters, gelten heute als Klassiker; sie werden als delikate Fotobücher im Schuber gehandelt. Was immer Baltz fotografierte, in seinem Blick verwandelten sich die belanglosen suburbanen Dinge zu enigmatischen Emblemen ihrer selbst. Es ist bisweilen, als ginge eine seltsame, aseptische Strahlung von diesen Aufnahmen aus. Seiner Subversion der frühen Jahre verdankt Baltz inzwischen, zumal unter seinen Kollegen, Kultstatus. Niemand hat die Fotografie um 1970 auf so direkte Weise mit den avancierten Ausdrucksformen ihrer Zeit von Malerei und Skulptur, später auch der Land Art, kurzgeschlossen und mit ihr zugleich ein Äquivalent für eine ökonomische Kritik geschaffen wie Baltz. So war seine Retrospektive im Kunstmuseum Bonn, die erste in einem Museum in Deutschland, längst überfällig. Lewis Baltz: Sausalito, 1973; aus der Serie "The Prototype Works" © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

4 / 8
(Foto: N/A)

Mit seiner illusionslosen Bestandsaufnahme einer profitorientierten Landnahme, die auch noch den letzten Winkel der Welt - namentlich den amerikanischen Westen - nach ihren Mustern zu rastern weiß, stand Baltz um 1970 durchaus nicht allein. Dan Grahams Zeitschriftenartikel über das serielle Bauen in dem aufreizend sachlichen Beitrag "Homes in America", 1966 im Arts Magazine veröffentlicht, ist eine Wegmarke der Conceptual Art. Robert Adams dokumentierte 1974 in seiner bestechenden Sequenz "The New West" die Verschandelung der Weite durch wuchernde Instant-Architektur vom Typus Reihenhaus. Lewis Baltz: Piazza Arnolfo di Cambio Colle Val d'Elsa, 2011; Installation im öffentlichen Raum © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

5 / 8
(Foto: N/A)

Gleichwohl blieben Baltz' vieldeutiger Verismus und die Tiefenschärfe seines Sehens einzigartig, was ihm 1975 - unter anderem an der Seite von Adams sowie Bernd und Hilla Becher - Zugang zur Ausstellung "New Topographics" in Rochester im Bundesstaat New York verschaffte. Die damals eher kritisch rezensierte, kleine Schau sollte sich als Wendepunkt der neueren Fotografie erweisen: Nach dem Siegeszug von Street und Straight Photography war plötzlich der (vermeintlich) "stillose Stil" gesetzt. Lewis Baltz: Palo Alto, 1973; aus der Serie "The Prototype Works" © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

6 / 8
(Foto: N/A)

Es mag verführerisch sein, Baltz' hyperperfekte neue Sachlichkeit allein unter formalen Vorzeichen auf sich wirken zu lassen und die Kombination aus "kartesischer Unerbittlichkeit" (Wolfgang Scheppe) und unversieglicher Fremdheit also unverhohlen zu genießen. Doch die einfallslose "Subarchitektur", wie Baltz sie nannte, das Porträt des öden, vorstädtischen Niemandslands und der zersiedelten Landschaft waren ihm niemals nur Anlass für einen gesteigerten Formalismus. Seinen Widerspruch an den herrschenden Verhältnissen lebte Baltz, indem er dem Amerika der Reagan-Ära den Rücken kehrte und nach Paris ging. Sein Werkzyklus "Candlestick Point" über eine gesellschaftliche Enklave am Flughafen von San Francisco nimmt regelrecht apokalyptische Züge an. Lewis Baltz: Anechoic Chamber, France Télécom Laboratories, Lannion, France, 1989-1991; aus der Serie 89/91 Sites of Technology © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

7 / 8
(Foto: N/A)

Baltz war nach Abschluss dieses Projekts von 1989 klar geworden, dass er die geniale Bildsprache seines frühen Œuvres ausgereizt hatte. Das bekundet auf seine Weise Realitätssinn. In deutlich größeren Formaten geht er zur Farbfotografie über und interessiert sich für paradigmatische Orte der postindustriellen Welt und der Globalisierung ("Sites of Technology"), fotografiert das Innenleben multinationaler Konzerne, Nuklearzentren, Kommunikationsunternehmen in Aufnahmen, die manches vorwegnehmen, was zuletzt etwa auf Thomas Struth zurückgeht. Gern hätte man in der kurzatmigen Bonner Ausstellung mehr von diesen Bildern gesehen. Lewis Baltz: National Centre for Meterological Research, Grenoble, 1989-1991; aus der Serie 89/91 Sites of Technology © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

8 / 8
(Foto: N/A)

Da sein politischer Anspruch in der Bespiegelung von Mechanismen der Überwachung und die Trostlosigkeit moderner Architektur immer ausdrücklicher werden, kommt Baltz in den neunziger Jahren seine Unverwechselbarkeit abhanden. Er bespiegelt einen offenkundig fehlgeleiteten Urbanismus nun in Europa und hat damit sicherlich alle Argumente auf seiner Seite; dem Pop-Maler James Rosenquist gleich addiert Baltz Aufnahmen von Überwachungskameras zu wandfüllenden, monumentalen Bildtafeln ("Ronde de Nuit") - bezeichnenderweise sind diese Riesenarbeiten mit ihrem heute üblich gewordenen XXL-Biennale-Format kaum bekannt geworden. Am Ende muss man sich mit einer pragmatischen Einsicht begnügen: Ein Magic Touch, wie er dem frühen Lewis Baltz zu Gebote stand, kommt und geht nach eigenen Gesetzen. Lewis Baltz: Ideal, 1976; aus der Serie "The Prototype Works" © Lewis Baltz, courtesy Galerie Thomas Zander, Köln

© SZ vom 06.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: