Kurzkritik:Wieder aktuell

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"New Model Army" erinnern im Backstage an den Postpunk

Von Dirk Wagner, München

Wahrscheinlich gibt es wenige Instrumente, die ihre Spieler so sehr erniedrigen wie die elektrische Geige. Versiert fingert da zum Beispiel die Violinistin beim Konzert von New Model Army im Backstage über die Saiten, über die sie mit sichtbarer Hingabe den Bogen zieht. Und trotzdem klingt das Ergebnis ihres augenscheinlich einfühlsamen Musizierens nur wie das schäbige Imitat einer billigen Heimorgel. Man darf es als sehr wahrscheinlich ansehen, dass das bessere Instrument des Keyboarders den gewünschten Geigenklang treffender hätte imitieren können. Dann allerdings hätte die folkloristische Komponente im Erscheinungsbild der 1980 gegründeten Band New Model Army gefehlt, die die Geigerin samt Rock und Lederstiefel optisch beisteuert.

Weil das neue Album "Winter" von Matt Huynh auch zeichnerisch als sogenannte Graphic Novel aufbereitet wurde, hätte man sich natürlich auch ganz andere visuelle Aufbereitungen der Show von New Model Army vorstellen können. Stattdessen ist auf der Bühne nur die Band um den Sänger Justin Sullivan zu sehen, die sich dem Publikum einzig über ihre Musik präsentiert. Schon der zweite Song "White Light" über das Nahtoderlebnis des Sängers, der mal auf der Bühne einen elektrischen Schlag bekam, wird von den Fans euphorisch mitgesungen. Schließlich verdeutlicht das Stück, wie wenig selbstverständlich es ist, dass diese Band auch dreißig Jahre nach ihrem internationalen Durchbruch noch immer live zu erleben ist.

Damals war es vor allem die Coverversion von "51st State Of America" über eine vermeintliche Amerikanisierung Großbritanniens unter der Regentschaft von Margaret Thatcher, die New Model Army an die Spitze der britischen Postpunk-Bewegung katapultierte. Und noch immer singen die Fans den Text des bereits verstorbenen Ashley Cartwright, dem Sullivan an diesem Abend das Lied widmet. Transatlantische Handelsabkommen lassen den Song auch jetzt immer noch sehr aktuell erscheinen.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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