Kurzkritik:Wie Donnerhall

Lesezeit: 1 min

Cathy Millikens "Earth Plays" im Münchner Herkulessaal

Von Rita Argauer, München

Nach der Pause setzen sich einige Zuschauer um. Weiter nach hinten, aus Angst vor der Lautstärke. Denn die Uraufführung von Cathy Millikens "Earth Plays" donnerte ganz schön durchdringend im Herkulessaal. Doch das Erschütternde passt gut zum Auftragswerk der Musica Viva, das vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Peter Rundel gespielt wird. Denn Milliken hat sich großer Themen angenommen. Vier Schauplätze der Menschheitsgeschichte vertonte die australische Komponistin. Es beginnt mit Thingvellir in Island, an dem vor etwa 1000 Jahren das erste Parlament Europas zusammenkam. Die Archaik marschierenden Schlagwerks trifft auf in Halbtonschritten herumsuchende Holzbläser. Das etwas belegte, dunkle Timbre der Mezzosopranistin Fiona Campbell vermag dabei den feierlichen Ernst, den Milliken in die Musik hineinschrieb, auf schöne Art zu füllen.

In dem Stück führt Milliken über das Amphitheater von Epidauros und die Statuen von Gohyaku Rakan schließlich in die Radio City Hall von New York, in der moderne Unterhaltungsmusik auf die Epik der ersten drei Stätten trifft. Cathy Milliken zitiert in ihrer Musik nicht aus einem zeitgenössischen Blick heraus. Sie schreibt Klang, der sich inmitten der erzählten Zeit befindet. Das rutscht bisweilen in Ethno-Kitsch, ist aber in der Wucht auch durchaus beeindruckend. Dieser Ausdruck spiegelt sich in der Orchesteraufstellung, in der die Kontrabässe aufgeteilt links und recht platziert sind und den Klangraum der Bühne als einen anderen, abgeschlossenen und lauten Ort besiegeln. Das Pompöse Millikens wird durch die beiden anderen Stücke des Abends in einen schönen Kontext gesetzt. Jörg Widmanns gewitzte "Dubairische Tänze" haben wesentlich mehr Abstand zu ihrem Sujet, aber einen ähnlichen emotionalen Impetus. Und wenn das Konzert mit Steve Reichs "Tehillim" schließt, wird darin zwar mit Psalm-Vertonungen ein ebenso großes Pathos verhandelt - Reich gibt dem aber durch seine kühle Strukturverliebtheit einen völlig anderen Ausdruck.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: