Kurzkritik:Wenig selig

Lesezeit: 1 min

Die Philharmoniker zwischen Walzer und Disharmonie

Von Rita Argauer, München

Nachdem das Orchester seine Plätze eingenommen hat, folgt den Musikern im dritten Jugendkonzert der Münchner Philharmoniker nicht der Dirigent aufs Podium. In etwas aufgedrehter Happy-Hippo-Freudigkeit tritt erst einmal Andreas Korn auf, der hier als Moderator durch das Programm führen soll. Dafür hat er ein Thema gewählt, das in Sachen Kunstausübung jedoch ein etwas flaches Allgemeingut bleibt: Inspiration.

Der Anschaulichkeit wegen, holt er die Cellistin Elke Funk-Hoever nach vorne, tanzt einen Wiener Walzer mit ihr, während das Orchester Johann Strauß' Kaiserwalzer anspielt, und beschreibt Ravels "La Valse" als Hommage an die rauschenden Ballnächte des 19. Jahrhundert. Nun ist dieses Stück Musik jedoch mindestens genauso Persiflage wie Hommage, am meisten aber scharfkantige Dekonstruktion des Walzers, was in der anschließenden Interpretation von Valery Gergiev mit seinem Orchester nochmals verdeutlicht wird. Gergiev legt den Fokus nicht auf das feine Nebeneinander von Walzerseligkeit und Disharmonie, sondern stellt die Gegensätze von Beginn an dynamisch höchst extrem aus. Eher an der unteren Tempo-Grenze erklingen die Walzertakte markig und die Sirenen-Glissandi zerpflückend unheilvoll.

So wird dieses Konzert auch zum Gegenüber von vermeintlich kind-, respektive jugendgerechter, schönfärberischer Worte und anschließender Interpretation, die all die doppelten Böden der Musik offenbart. Gergiev zeigt sich dabei von ungewohnten Seiten. Etwa in Ravels zweitem Klavierkonzert. Hier überträgt sich die selbstbewusste Gelassenheit und mikroskopische Nuancengestaltung des Pianisten Pierre-Laurent Aimard ins Orchester, das unter Gergiev untypisch mit einer süßen Leichtigkeit voll von subtiler Melancholie spielt. Auch Schuberts vierte Sinfonie gehört in ihrer noch klassizistischen Form nicht zu Gergievs Kernrepertoire. Der etwas hölzernen Tragik begegnet er ungewohnt brav und verzichtet auf die brennenden Sohlen, mit denen er gewöhnlich durch das russische Repertoire läuft. Wunderbare Momenten ergeben einen fein luziden und schwebenden Orchesterklang, der im Menuett jedoch fast zu ereignisarm und ein klein wenig träge klingt.

© SZ vom 29.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: