Kurzkritik:Verblüffend modern

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Schuberts "Nachtgesänge" im Konzerthaus Blaibach

Von Sabine Reithmaier, Blaibach

Stockschwarze Nacht, Dauerregen, Nebelschwaden - es gibt Momente, in denen man sich schon fragt, ob es wirklich seinen Sinn hat, über enge Straßen ins Blaibacher Konzerthaus zu kurven. Bloß um "Nachtgesänge" zu hören, so der bereits in diesen Augenblicken durchaus einleuchtende Titel des zweiten Abends einer vierteiligen Schubertiade. Aber als das Kulturwald Vokalquartett, begleitet von vier selbstbewusst unaufdringlichen Hornisten, wundervoll leicht und elegant den "Nachtgesang im Walde" anstimmt, erlischt schlagartig jeder Zweifel.

Jos van Immerseel, Pianist, Dirigent und eine der profiliertesten Figuren der Originalklang-Aufführungspraxis, hat das Programm so zusammengestellt, wie es sich während einer historischen Schubertiade hätte ereignen können: mit einer staunenswerten Vielfalt, was Besetzungen und Stimmungen betrifft. Schubert nutzte die Treffen , um neue Werke vorzustellen, weshalb die Salons wohl eher avantgardistischer Art waren. Und genau das Gefühl, Neues zu hören, obwohl es sich um Altbekanntes handelt, macht den ungeheuren Reiz des Blaibacher Abends aus. Den historisch korrekten, aber in Klanggestaltung verblüffend modern wirkenden Interpretationen Jos van Immerseels und seiner Anima-Eterna-Musiker zu folgen, fühlt sich an wie eine Reise in unbekannte Gefilde.

Gerade der zweite Satz des Klaviertrios No. 2 in Es-Dur, einer der letzten Kompositionen Schuberts, irrlichtert ja nicht nur durch Konzertsäle, sondern auch durch ungezählte Filme. Immerseel, die Violinistin Chouchane Siranossian und der herausragende Cellist Stefano Veggetti packen das Andante ebenso energisch wie unsentimental an. Und entwickeln so eine Klangfülle und Leidenschaft, dass man sich nur wünscht, sie mögen nie aufhören. Aber auch die Sopranistin Yeree Suh und die Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland, begleitet von Immerseel am Hammerklavier, singen die Lieder mit einer Unmittelbarkeit, die einem nahegeht.

Nach dem "Ständchen", das Kielland mit dem Vokalquartett - David Erler, Klaus Wenk, Thomas E. Bauer und Joachim Hochbauer - hinreißend interpretiert, marschiert man beseelt über Pfützen in die Dunkelheit. Und weiß: "Die Nacht ist im Walde daheim."

© SZ vom 24.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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