Kurzkritik:Unschärferelation

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Micha Puruckers "serious interludes II"

Von Sabine Leucht, München

Im Dunkel des Schwere Reiter taucht ein wummernder Rhythmus aus einem Meer blubbernder Töne auf. Ein Körper stemmt und schlängelt sich in prekäre Positionen - mal rettet ihn eine Schulter, mal das Becken und ein Knie vor der allgegenwärtigen Gefahr des Kippens. Michal Heriban ist in Micha Puruckers "serious interludes II" der Mann für die Nische, der seine biegsamen Glieder ausdrucksstark in jedes noch so enge Gepäckfach pressen und sich dabei noch bequem mit dem großen Zeh am Hintern kratzen könnte.

In der "Interzone" zwischen Anpassung ans Gegebene und gewitztem Widerspruch sind Puruckers Zwischenrufe angelegt, die im Dezember begonnen haben und sich (teils unangekündigt und immer skizzenhaft) noch bis März in der Stadt verbreiten sollen (Aktuelles jeweils unter www.interzone-hotspot.org). Diese freiwillige, aber aufmüpfige Selbstmarginalisierung hält der Münchner Choreograf für eine passende Antwort auf "eine Kulturpolitik, die sich hauptsächlich entzieht". Doch wie Heriban und sein nicht minder begnadeter Kollege Gonçalo Cruzinha selbstversunken aneinander vorbei manövrieren, wobei Cruzinha eine in Nuancen gehetztere, in die Vertikale gekippte Variation von Heribans Gliederverschiebetechnik praktiziert, das ist - ob marginal oder nicht - einfach toller, inspirierender Tanz.

"We try"- "here" - "to make ourselves" - "less solid" steht etwas später auf Zetteln, die die durch den Performer Wolfgang Cerny zum Trio gewordenen Tänzer im angrenzenden Proberaum des Schwere Reiter herumzeigen, bevor sie - jeder für sich - an ihrem Stuhl herunterfließen. Ein wie von unsichtbaren Faustschlägen traktiert herumtorkelnder Kopf, schleifende Tanzschritte, Arme im Windmühlenmodus oder eine hingebungsvolle Übung im Fingerknacken stecken die Möglichkeiten und Grenzen dieses Vorhabens ab. Es geht hier deutlich-undeutlich um das Primat des Impulses und der Bewegung über die Pose. Wie die Verwirklichung von derlei Verwischungstechniken in einer großen Gruppe aussehen kann, zeigt ein Film der im September 2015 von Purucker in Korea realisierten Produktion "murmurs + splotches", in der gegen Ende ein Dutzend Tänzer auseinander stiebt wie die Moleküle einer erhitzten Substanz.

© SZ vom 11.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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