Kurzkritik:Unheilvolle Zeit

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"Algiers" aus Atlanta überwältigen im Strom

Von Martin Pfnür, München

Es ist die Wut, die diese Musik zu einem Erlebnis macht. Sie liegt in den sägenden, rauen und noisigen Riffs und Drones, die Gitarrist Lee Tesche seinem Instrument auch mal mit dem Bogen entlockt. In den harschen elektronischen Texturen, die Bassist Ryan Mahan stets am Rande zur Übersteuerung aus seinem Synthesizer schickt. In den Rhythmen, mit denen der Schlagzeuger Matt Tong diese irren Rasereien befeuert. Vor allem aber liegt sie in dieser immens ausdrucksstarken schwarzen Soul-Stimme, diesem croonenden, giftenden und flehenden Organ, mit dem Franklin James Fisher den hyperenergetischen Wahnsinn, der über das Publikum im Strom hereinbricht, zusammenhält.

Nein, eine "zugängliche" Band sind Algiers eher nicht. Dafür steht allein schon der konzeptionelle Überbau, dem sich das amerikanisch-britische Quartett verschrieben hat. Benannt nach einer Stadt, die repräsentativ für den Befreiungskampf vom Kolonialismus steht, schlagen Algiers auf ihren beiden Alben musikalisch eine Brücke, mit der sie, wie kaum eine andere Band, für die Utopie einer gerechteren Welt frei von Rassismus und sozialer Ungleichheit eintreten. So trifft die spirituelle Komponente schwarzer Musiken zwischen Gospel und Soul bei ihnen ebenso auf die bleischwere Kühle des Industrial, wie auf die dreckige und gegen den Strich gebürstete Note des Punk als Paradeform rebellierenden Außenseitertums.

Live ergibt das eine Dringlichkeit, die einem immer wieder die Schuhe auszieht. "This is how / the hate keeps passing on", singt James Fisher zum unheilvollen Bollern von "Death March", das sich auf dem neuen Album "The Underside Of Power" findet. Die Ohnmacht gegenüber dem Hass zwischen den Ethnien, der nicht nur in den USA unter Präsident Donald Trump neu aufkeimt, sie findet hier eine künstlerische Entsprechung, die freilich nichts an den derzeitigen Verhältnissen ändern wird. Für den Moment jedoch ist kaum ein befreienderes Ventil denkbar als diese Musik. Sie ist der düstere Soundtrack zu unserer schwierigen Zeit.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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