Kurzkritik:Überraschend anders

Barbara Hannigan dirigiert die Philharmoniker

Von DIRK WAGNER

Wahrscheinlich gibt es nichts Verstaubteres als zu behaupten, dieses Konzert werde die Klassik entstauben. Der Moderator, der vor dem Beginn das Programm der Münchner Philharmoniker unter dem Dirigat der kanadischen Sopranistin Barbara Hannigan im MVG-Museum erläutert, will der Klassik gar den Stock aus ihrem Allerwertesten ziehen. Dabei, so scheint es, hat er selbst genügend Stöcke dabei, die ihn verkennen lassen, dass nicht der ungewöhnliche Raum nebst der Einbettung des Konzerts in einen Party-Kontext die von ihm behauptete Staubschicht entfernt.

Das Besondere ist dann doch das Programm selbst, das mit dem Tanz der sieben Schleier aus Richard Strauss' Oper "Salomé", Alban Bergs Lulu-Suite und George Gershwins Suite aus "Girl Crazy" drei Frauenbilder vorstellt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch musikalisch für Furore sorgten. Zugleich offenbart der Vergleich der drei zeitnah entstandenen Kompositionen einen Blick auf den damaligen Gesellschaftswandel. Beginnend mit Richard Strauss, der eine bis dato geltende Tonalität aufhob, über Alban Bergs symphonische Stücke aus "Lulu", die auch ohne den ihnen zugedachten Opernkontext funktionieren, bis hin zu Gershwins Crossover, das sich der Jazzmusik öffnet.

Ungewöhnlich ist aber auch, wie plötzlich die Dirigentin selbst den Koloratursopran aus Alban Bergs Lulu singt. Die Faszination, die von der Darbietung ausgeht, überbietet das Ensemble sogar, als die Orchestermitglieder bei Gershwins Girl-Crazy-Suite auch noch den Chor singen, genauer: einen zweistimmigen Männerchor und einen zweistimmigen Frauenchor, der dann allerdings etwas dünner ausfällt, weil deutlich weniger Frauen im Orchester mitwirken. Sofort muss die Dirigentin den spontanen Applaus ob solcher überraschenden Einlage ausbremsen, der nur allzu störend einen der schönsten Momente des Konzerts übertönt. Somit gehörte die Musik an diesem Abend nicht entstaubt, sondern eher entjubelt.

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