Kurzkritik:Tragikomisch

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"Die ganzen Wahrheiten" an der Theaterakademie

Von Christiane Lutz, München

Regieführende Schauspieler - ja, braucht's das denn auch noch? Die kurze Antwort lautet: auf jeden Fall. Sofern sie es so gut machen wie Dimitrij Schaad und Shenja Lacher. Ja, der Shenja Lacher, der vergangenen Sommer in einem Interview die hierarchischen Strukturen des Theaters kritisierte und seinen Abschied vom Residenztheater verkündete. Der andere ist Dimitrij Schaad, ein Hausgewächs der Theaterakademie August Everding, an der er selbst Schauspiel studierte und wo er und Lacher jetzt einen furiosen Doppelabend abgeliefert haben. Lacher inszenierte "Die ganzen Wahrheiten" von Sathyan Ramesh, Schaad entwickelte selbst den beachtlichen Text zu "Die Konsistenz der Wirklichkeit." Vergleichbar sind die beiden Stücke in der Verlorenheit ihrer Protagonisten. Die meisten von ihnen sind Millennials, gut ausgebildete junge Menschen zwischen 25 und 35. Sie suchen das Glück und fühlen Leere - trotz guter Jobs, passabler Partnerschaften und eines nie enden wollenden Vorrats an Chips.

Shenja Lacher inszeniert seinen Teil des Abends so, wie er auch selbst Theater spielt: nervös-leidenschaftlich und mit ordentlich Wumms. Seine Figuren suchen derart panisch nach Erfüllung, dass sie stets Gefahr laufen, zu hyperventilieren. Das ist herrlich komisch und gleichzeitig ziemlich tragisch. Zum Beispiel, wenn Trini (Philipp Rosenthal) von seinem krankhaften Hobby erzählt, Hunde von ihren Herrchen zu trennen, damit "wieder etwas mehr Sehnsucht" in der Welt ist.

Den zweiten Teil des Abends, "Die Konsistenz der Wirklichkeit" eröffnet dann ein als Hund wiedergeborener Soldat, ganz zauberhaft gespielt von Marina Blanke. Dimitrij Schaad zeigt acht Figuren, deren Geschichten in irgendeiner Form um den Amoklauf am OEZ kreisen. Dabei gibt es Verstörendes, wie die Flüchtlings-vergiftende Krankenschwester, und Schräges, wie den Vollzeit-Horror-Clown. Das ist Münchnerisch, das ist jung und dabei ganz feinsinnig. Regieführende Schauspieler? - auf jeden Fall.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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