Kurzkritik:Tabutänze

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"Nicht Ich"offenbart Intimes im Hoch X

Von Rita Argauer, München

Bei einer Frage zieren sich die meisten Künstler in Interviews mit Journalisten. Immer dann, wenn es darum geht, was sie nicht mögen, blocken viele ab. Zu persönlich sind solche Fragen, zu angreifbar würden sie sich mit ihrer Beantwortung machen. Im Stück "Nicht Ich" treten nun jedoch die Tänzerin und Choreografin Katja Wachter und der Schauspieler und Musiker James Newton diese Frage im Theater Hoch X in aller Öffentlichkeit auf der Bühne breit.

"Ich würde niemals einen Song auf der Bühne covern", sagt Katja Wachter, die eine ausgebeulte Jeans und ein T-Shirt der Münchner Metalband Grantig trägt. Diese Band entstammt der gleichen Underground-Musikszene des Münchner Westens, in der James Newton in seiner Jugend aktiv war. Und folglich wird schon bei dieser ersten Aussage klar, dass hier Rollen und Klamotten getauscht wurden. Vor allem, wenn sich Newton, bekleidet mit Schleifen-Kragen und eng geschnittener Karottenhose, anschließend über No-Gos des zeitgenössischen Tanzes auslässt: Etwa übertrieben lautes Schnaufen, Neoklassik oder "Gehen, Stehen, Gucken und Wirken lassen". Später bekommt man all das dann auch noch zu sehen und zu hören. Sowohl wenn Newton Oasis' Lagerfeuer-Klassiker "Wonderwall" live spielt oder Wachter einige Jetés in neo-klassischer Expressivität auf ein Metal-Riff von Newton an der Gitarre treffen lässt. Das ist amüsant und spitzfindig zugleich und löst sich in kunstvollen Duetten der beiden, etwa einem virtuos zackig gesetzten Robo-Dance.

Über die Flüchtlingsthematik, die man erklärtermaßen nie auf der Bühne behandeln würde und gleichzeitig ein Duett voll annehmenden und ablehnenden Gesten tanzt, gelangen sie zum Persönlichen: Newton berichtet weinend von einer schwierigen Vater-Tochter-Beziehung, während Wachter erklärt, diese persönliche Therapiesitzungskunst zu verabscheuen. Und hier zeigt sich das Paradox des Stücks, das an diesem Samstag, 1. April, ein letztes Mal aufgeführt wird: Über ihre subjektiven Aversionen zeigen sich Wachter und Newton so intim und nahbar wie selten.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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