Kurzkritik:Somnambul

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Pop-Denker Andreas Spechtl auf Klangreise ins Unbekannte

Von Jürgen Moises, München

Er wollte in ein Land fahren, in dem sich die europäische Angst konzentriert, und dort auch längere Zeit leben. So hat Andreas Spechtl seine Reise begründet, die ihn im vergangenen Winter für zwei Monate nach Teheran geführt hat. Dort hat der Sänger der österreichischen, längst in Berlin ansässigen Indierock-Band Ja, Panik nicht nur gelebt. Er gab Konzerte und nahm sein neues Soloalbum "Thinking About Tomorrow, And How To Built It" auf. Und das geschah fast ausschließlich in privaten Räumen, manches nahm er auch bei Taxifahrten auf. Denn das öffentliche Spielen von westlicher Musik ist im Iran verboten.

Am Freitag ist das Album erschienen. Bereits einen Tag zuvor hat es Spechtl live im Münchner Club "Unter Deck" präsentiert und, so könnte man sagen: auch seine Zuschauer auf eine Klangreise ins Unbekannte geführt. Diese spiegelte teilweise mit dunklen Elektrobeats die winterliche Stimmung in Teheran wider und in Form von persischen Saiten- und Percussion-Instrumenten auch die traditionelle Musik. Zu hören bekam man sie als bearbeitete, digitale Samples, teilweise aber auch live vorgetragen vom iranischen Musiker Saba Alizadeh, der Spechtl auf der Tour begleitet. So spielte er etwa bei einem der Stücke auf der Kamantsche, einer iranischen Stachelgeige, ein virtuoses Solo, während Spechtl sein elektronisches Instrumentarium bediente. Das heißt: Synthesizer, Sampler, Loop-Maschine, in die er einfache Keyboard-Melodien, Hi-Hat-Beats oder Gesangsfragmente einspeiste.

Das Ergebnis sind faszinierende, halluzinatorisch-somnambule Klanggeflechte, in die mit Sätzen wie "ich versteh kein Wort" eigene Fremdheitserfahrungen einfließen. Die insgesamt aber weniger von Angst geprägt sind, als von Hoffnung und utopischen Gefühlen. "If your're afraid of Dunkelheit, turn on the light" heißt es an einer Stelle, und an anderer: "There's nothing to lose." Für den Hörer ist es jedenfalls so, dass er am Ende viel gewinnt auf dieser facettenreichen Klangreise.

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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