Kurzkritik:Seltsam blutleer

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"The Jesus and Mary Chain" in der Theaterfabrik

Von Martin Pfnür, München

War das Wetter an diesem perfekten Herbsttag vielleicht zu schön, um abends vom Liebesschmerz unter wolkenverhangen "April Skies" zu singen? Hatte man am Ende gar eine andere Band gesehen als die Rezensenten in Wien und Berlin? Aber nein, natürlich waren das die legendär verfeindeten Brüder Reid, die da mit drei Mitmusikern als The Jesus and Mary Chain auf der vernebelten Bühne der Theaterfabrik standen. Der schmale Jim in ungesunder Haltung über seinen Mikrofonständer gebeugt. Der nicht mehr ganz so schmale William mit seiner Vogelnestfrisur rechts außen an der Leadgitarre über seinen Effekt-Pedalen.

Alles so, wie es sein sollte also. Und doch kommt man nicht umhin, dieser lang erwarteten Nostalgie-Veranstaltung einen Mangel zu unterstellen. An Verve. An Dringlichkeit. An Spannung. An klanglicher Ausdifferenziertheit und den feinen Nuancen einer Musik, die sich in den Achtzigern und den frühen Neunzigern mit ihrem irre coolen Spagat zwischen honigsüßen Melodien und kathartischen Feedback-Orgien als stilprägend für ganze Heerscharen an Indie-Rockbands erwies.

"Damage and Joy" heißt das neue Album der Schotten. Es ist ihr erstes seit 19 Jahren und sie betteten es in der Theaterfabrik in eine Setlist, wie sie beglückender nicht hätte sein können. Aber ach. Die dynamische Wucht von "Snakedriver" mit seinen giftig fauchenden Gitarrensounds: zum geistlosen Klangbrei zerschreddert. Die melancholische Süße von "April Skies": begraben unter allzu schwerem Metall. Erst mit der balladesken Reise in die "Darklands" und dem psychedelisch treibenden Baggyrock von "Reverence" als Abschluss des seltsam blutleeren Hauptsets bewiesen TJAMC ihre Live-Qualitäten.

Der berühmte Funke, er sprang jetzt doch noch über und verlieh den beiden umjubelten Zugabenblöcken samt des zynischen finalen Schunklers "I Hate Rock'n'Roll" jene allumfassende Euphorie, auf die man schon viel früher gehofft hatte. Schade eigentlich.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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