Kurzkritik:Sehr plastisch

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Kent Nagano leitet die BR-Symphoniker im Herkulessaal

Von Andreas Pernpeintner, München

- Messiaens Orchesterwerk "Chronochromie" gehört zu jenen Kompositionen, die mindestens zweimal beeindrucken: bei der Hörerfahrung und bei der Lektüre der Kompositionsanalyse, die einem darlegt, welche strukturelle Finesse in der Musik verankert, jedoch gemeinhin nicht zu hören ist. Was man natürlich hört, das sind die Vogelstimmen, die in der Partitur umherzwitschern - bekanntermaßen typisch für Messiaen, der Vögel als die Künstler unter den Lebewesen ansah. Und doch sind die Vögel nur eine Komponente dieses sorgfältig konzipierten Klangerlebnisses.

Für dessen Erzeugung sitzt das BR-Symphonieorchester zwar in solcher Mannschaftsstärke im Herkulessaal, als gelte es spätromantische Wucht zu entfesseln, jedoch klingt die Musik maximal transparent und spannt zwischen dem markanten Schlagwerk (chromatische Röhrenglocken, Gongs, mit hartem Ton anzuschlagende Stabspiele) und einer aufgetürmten Überlagerung polyphon geführter Solostreichinstrumente ein immenses Ausdrucksspektrum auf. Unter der Leitung des Kraft seiner Biografie authentischen Messiaen-Deuters Kent Nagano wird das sehr plastisch musiziert.

Präzise, vielleicht für diese Musik metrisch manchmal sehr penibel, dirigiert Nagano nach der Pause auch Bruckners Messe Nr. 2 für achtstimmigen Chor und Bläser WAB 27 (zweite Fassung). Doch ist größtmögliche Klarheit hier ja gar nicht verkehrt. Schon das Kyrie stellt höchste Ansprüche an die Klangkultur des Chores: mit seinen an Schwierigkeit kaum zu überbietenden leisesten A-cappella-Einsätzen; mit seinen Bläsereinsätzen an ausgesuchter Stelle, die jede hauchdünne Unschärfe der vokalen Intonation entlarven würden. Nun, es ist der BR-Chor, der hier singt, und somit gibt es kaum etwas zu beklagen. Der Hörgenuss ist auch ohne sakrale Akustik berückend. Beeinträchtigt wird die Andacht allenfalls durch den Anblick des Möbellagers, zu dem man Stühle und Pulte der Messiaen-Besetzung zusammengeschoben hat, anstatt sie abzuräumen.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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