Kurzkritik:Sanftes Pathos

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Das Münchener Kammerorchester spielt Henryk Górecki

Von Rita Argauer, München

Wenn es ein Komponist neuer klassischer Musik mit einem zeitgenössischen Werk in die Pop-Charts schafft, ist das ungewöhnlich. Doch zu Beginn des Komponistenporträts, das das Münchener Kammerorchester zu Henryk Górecki in der Pinakothek der Moderne spielt, wird klar, warum diese Musik auch Menschen abseits der Liebhaber verschroben abstrakter Neuer Musik berühren konnte. Seine "Three Pieces in Old Style" von 1963 nehmen schon die Rückkehr zur Tonalität vorweg, mit der Górecki in den Neunzigerjahren in die Charts einstieg. Sein "Kleines Requiem für eine Polka" von 1993 fährt dieses sanfte Pathos voll aus.

Unter der Leitung von Clemens Schuldt gerät das jedoch nie plump. Das Kammerorchester spielt lustvoll, aber schlank. Górecki komponiert modular und gleichsam romantisch, dem starken Gefühl wird eine strukturelle Kühlung verpasst. Die Musik befriedigt elegant harmonische Hörbedürfnisse, die ab und an von scharfkantigen Zäsuren und auch rhythmischen Witzen durchbrochen werden. Dennoch erscheint die avantgardistische Seite Góreckis ungleich spannender. Etwa das Streichtrio "Genesis I: Elementi" von 1962. Konzertmeisterin Yuki Kasai, der Bratscher Kelvin Hawthorne und Bridget MacRae am Cello beginnen mit lärmenden Alarm-Glissandi. Später entwickelt sich daraus ein rhythmisch hochkomplexes Geräuschstück, das zum Teil wie zerberstendes Blech oder ein tonloser Synthesizer klingt.

Das setzt sich im Cembalo-Konzert von 1980 fort. Solist Mahan Esfahani spielt die unveränderlich rasende und gleichzeitig seltsam statische Solostimme mit umwerfender Geläufigkeit, während die Streicherstimmen darunter dramatisch wahlweise wie eine Orgel-Toccata oder der Soundtrack eines Siebzigerjahre-Horrorfilms klingen. Górecki offenbart in diesen Stücken eine völlig neue Klangsprache, die jedoch mit offensichtlichen Assoziationen zu Bekanntem faszinierend ungewohnte Hörwelten erschafft, die gleichsam zugänglich bleiben.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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