Kurzkritik:Polit-Musical

Lesezeit: 1 min

"Der Glöckner von Notre Dame" im Deutschen Theater

Von Oliver Hochkeppel, München

Es dürfte 2015 gewesen sein, als sich das Team des "Glöckners von Notre Dame" an die Neufassung des Musicals machte. Dass ihm dabei das Geschehen in Deutschland vor Augen stand, ist fraglich: Wie die Urfassung 1999 war es im Wesentlichen eine amerikanische Produktion, der das Star-Trio Alan Menken (Komponist), Stephen Schwartz (Librettist) und Peter Parnell (Buch) den Rahmen gegeben hat. Wenn aber gleich zu Beginn der kalte Erzdiakon Frollo - der sich später so verhängnisvoll in eine verhasste "Zigeunerin" verliebt - predigt, der Staat müsse die Grenzen besser schützen, weil zu viele Fremde hereindrängten, die Gefahr und Verderbtheit brächten, dann kann man die schlagende Aktualität nicht mehr übersehen.

Selbst mit einem Stück Weltliteratur wie Victor Hugos Roman in den Händen, das sich tiefschürfend und grundsätzlich mit Ausgrenzung, Vorurteilen und Bigotterie einerseits, Mitgefühl und der Überwindung von Hass andererseits befasst, muss man dies in einem Musical erst einmal ernst nehmen und herausarbeiten. So gesehen darf man von einem großen Glück sprechen, dass dieser "Glöckner" sich wieder sehr dem Geist von Hugo zu- und vom Disney-Film abwendet. Bis hin zu völlig neuen Ideen wie etwa der, dass sich Quasimodo symbolträchtig vor dem Publikum vom adretten Darsteller in die entstellte, bucklige Figur verwandelt.

Gehalt transportiert sich natürlich umso besser, wenn auch die Schauwerte stimmen. Auch da ist diese Inszenierung überwältigend. Vom klug aus der Raumnot eine Tugend machenden Bühnenbild - nie hätte man gedacht, dass der riesige Glockenturm von Notre Dame ins kleine Deutsche Theater passt - über die von den Chören sehr bereicherte Musik bis zu den überzeugenden Darstellern - überragend: David Jakobs als Quasimodo und Felix Martin als Frollo, gegen die Sarah Bowden als Esmeralda und Maximilian Mann als Hauptmann Phoebus einen Tick abfielen. Keine leichte Musical-Kost, dafür nachhaltig beeindruckend.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: