Kurzkritik:Plakativ

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BR-Symphoniker unter Ryan Wigglesworth

Von Klaus Kalchschmid, München

Kluge Programmierung kombinierte beim Konzert mit dem Symphonieorchester des BR unter Ryan Wigglesworth im Herkulessaal selten gespielte Werke, die sich mehr oder minder verschlüsselt gegen Diktatur und Herrschaft des Unrechts auflehnen: In Beethovens zweiter "Leonoren"-Ouvertüre ertönt das Trompetensignal, das die rettende Ankunft des Ministers ankündigt, gleich zweimal; Benjamin Brittens 1936 komponierter Zyklus "Our Hunting Fathers" erzählt an der Oberfläche von Tieren (Ratten, einem Affen und Hunden), attackiert aber versteckt den Nationalsozialismus, platzt doch am Ende eine apokalyptische Katastrophenmusik herein, bevor die beiden Hunde "German" und "Jew" aufeinandertreffen; und Michael Tippetts Oratorium "A Child of Our Time" (1944) handelt indirekt von Herschel Grynszpan, der am 7. November 1938 in Paris den Nazi Ernst vom Rath tödlich verletzte.

Tippett nennt in seinem oft allzu plakativen Bekenntniswerk, das sich ebenso auf Bach und Händel bezieht, wie es statt Chorälen Spiritual-Ähnliches einfügt, keinen Namen. Stattdessen betont er immer wieder in Geist und Buchstabe die Geschichte des Volkes Israel. Der Titel des Oratoriums ist bezeichnenderweise dem gleichnamigen Roman Ödön von Horvaths über einen anonymen Soldaten entlehnt, der in einer Diktatur zum Mörder wird, und strotzt in Text und Musik nur so vor Pathos. Das verstärken die vier Gesangs-Solisten noch: Sopranistin Sophie Bevan als hell strahlendes Symbol eines Engels, Mezzo Karen Cargill in der Rolle der Mutter, der Tenor Mark Padmore als Knabe, der unfreiwillig zum Täter wird, und Bassist Brindley Sherratt als allzu betroffen klingender "Erzähler".

Ryan Wigglesworth dirigierte Chor und Orchester facettenreich, wie er auch zusammen mit dem souveränen Mark Padmore den skurrilen Ton von "Our Hunting Fathers" traf. Doch die Beethoven-Ouvertüre ließ er mit über Gebühr ausgehaltenen Generalpausen fast auseinanderfallen und betonte die Tatsache, dass das Ganze wie der Rohschliff der berühmten dritten Leonoren-Ouvertüre wirkt - mit all der Schlacke und dem Überflüssigen, das Beethoven später entfernte.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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