Kurzkritik:Pfefferminz

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Tschechows "Kirschgarten" am Elbestrand von Wasserburg

Von Egbert Tholl, Wasserburg

Uwe Bertram, geboren 1962 in Magdeburg, hat gewartet, bis er ein großer, weiser Silberrücken geworden ist, bis er sich auf der Bühne mit seiner DDR-Vergangenheit beschäftigte. Jetzt hat er am Belacqua Theater Wasserburg Tschechows "Kirschgarten" inszeniert, mit einer Konsequenz, die man sich erst einmal trauen muss, wenn man ein Theater in einer zwar theaterbegeisterten, aber halt doch kleinen, schönen Stadt leitet.

Im "Kirschgarten" verhallt jede Sehnsucht im Stillstand, den einzig Lopachin aufbricht, ein bisschen aus Rache, vor allem aber, weil er die Zeichen einer neuen Zeit lesen kann. Er kauft das Gut, auf dem sein Großvater und sein Vater schufteten und nicht einmal in die Küche durften, und kauft alle Kirschbäume und schmeißt die Kettensäge an. Naja, geholzt wird in Wasserburg nicht, aber man weiß ja eh, was kommt. In dem Stück gibt es, anders als etwa in Tschechows "Möwe" oder in "Onkel Wanja" nie einen dramatischen Moment; am Anfang weiß man, dass der Kirschgarten aller Wahrscheinlichkeit nach verkauft werden muss, am Ende ist er verkauft. Und alle warten auf das Unausweichliche.

In Wasserburg warten sie nun auch, in einem Gartenlokal, das tatsächlich so wirkt wie am Strand der Elbe 1990, oder vielleicht 1984 oder 1992. Es herrscht End-DDR-Flair, die Menschen, außer Lopachin, sind ostentativ beschissen gekleidet, (post-)Achtziger stonewashed. Es gibt einen kleinen Kiosk, da kann man "Küsten-Spritz" kaufen, das ist DDR-Pfefferminz-Likör wie aus dem Chemie-Kombinat mit Rotkäppchen-Sekt. Ein hartes Getränk, das aber Appetit macht auf die hervorragende Soljanka in der Pause.

Da alles Reden schon bei Tschechow nur noch den Anschein von echtem Dialog hat, baut Bertram gleich Monologe aus dem Text. Jede Figur, die einigermaßen wichtig ist, kriegt so ihren Auftritt und muss nicht mehr mit denen, die eh nicht zuhören, im Eigentlichen kommunizieren. Das ist allein deshalb schon grandios, weil nichts verloren geht und Susan Hecker als Familienoberhaupt Ljubow Andrejewna Ranjewskaja lange Zeit einfach schweigen darf. Sie kann unglaublich gut schweigen und doch sehr präsent sein, mit einem Lächeln am Gartentisch sitzen und innerlich von Paris träumen. Oder von etwa anderem. Vielleicht auch von einem Erlebnis, dass sie einst hatte, als sie eines der Lieder zum ersten Mal hörte. Firs, hier in Gestalt von Hilmar Henjes (der zweite Ossi der Produktion) der Typ, der die Kneipe zusammen mit Jascha (Leonhard Schilde) am Laufen hält, singt. Schilde spielt Akkordeon. Lieder aus einer fernen Zeit, DDR-Bands. Karat, Silly ("Bataillon d'Amour"), Puhdys, so in dem Sinn: Als ich fortging, war die Straße leer, und von irgendwo wehte eine Lust daher.

Das schafft eine umfassende Atmosphäre, die das abgestandene DDR-Lebensgefühl von 1990 trifft, aber auch für heute taugt, für die, die meinen, da war mal was besser. Larmoyant indes ist es nie, das geht schon nicht bei so handfesten Akteuren wie Regina Alma Semmler oder Nik Mayr oder der echten Zirkusprinzessin Nina Selma Frank.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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