Kurzkritik:Mein Nazi-Opa

Lesezeit: 1 min

Matthias Neukirch auf Spurensuche im Pathos Theater

Von Karen Bauer, München

Hans Schleif war Held und Schurke: Held, weil der Archäologe in den Dreißigerjahren Olympia ausgrub. Schurke, weil er als SS-Mann Konzentrationslager bauen ließ. 1945 erschoss er sich. Es ist eine wahre Geschichte und ein Stück Familiengeschichte, die der Schauspieler Matthias Neukirch in "Hans Schleif - eine Spurensuche" erzählt. 2011 wurde das Stück uraufgeführt, nun war es zu Gast im Münchner Pathos Theater.

Wie groß war die Schuld des Großvaters im Zweiten Weltkrieg? Dieser Frage spürte der Schauspieler gemeinsam mit Regisseur Julian Klein nach: Er interviewte seine Mutter, stöberte in Briefen, recherchierte in Archiven. Entstanden ist ein fesselnder Theaterabend zwischen Ein-Mann-Stück und Performance. Die Ausstattung ist schlicht: ein Tisch, ein Stuhl - viel Raum für Matthias Neukirch, der mitreißend spielt. Neukirch ist mal er selbst und blättert fassungslos in Akten des Bundesarchivs. Dann schlüpft er in die Rolle des Großvaters im Jugendalter. Man sympathisiert mit dem jungen Schleif, der ein Sturkopf war, amüsiert sich über die absurden Berichte der Nationalsozialisten, die Schleich zunächst als "ungenügend" bewerteten, weil er mit Nazi-Gegnern und Juden befreundet war. So entsteht ein Bild vom Großvater, den Neukirchs Mutter stets in Schutz nahm.

Schonungslos fügt Neukirch wie in einem Krimi Puzzle-Teil an Puzzle-Teil: Wie der Großvater in die SS eintrat, um seine Karriere zu befördern. Wie er in Polen Kulturgüter plünderte. Wie seine späten Briefe schließlich doch nationalsozialistisches Gedankengut widerspiegeln. Alle Anklagepunkte belegt Neukirch mit historischen Quellen. Rastlos auf und ab schreitend, verteilt er wie ein Staatsanwalt Kopien von Beweisdokumenten. Die Zuschauer, an den U-förmig arrangierten Tischen sitzend, werden zu Schöffen. Und Neukirch macht seinem Opa posthum den Prozess, dem sich dieser zu Lebzeiten durch Suizid entzogen hatte.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: