Kurzkritik:Mann? Frau? Egal

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Knarf Rellöm & Co mit kluger Show im Unter Deck

Von DIRK WAGNER, München

Weil Knarf Rellöm die Popkultur nicht nur als Spiegel der Gesellschaft begreift, sondern auch als deren Motor, ist seine Discomusik im ausverkauften Unter Deck nicht nur eine Erinnerung an die Bürgerrechtsbewegungen der Schwarzen und der Schwulen, aus denen letztlich Disco hervorging. Unterstützt von der Bassistin DJ Patex und von Viktor Marek an den Synthesizern formt Rellöm im Unter Deck aus der Siegesflagge Disco ein Schwert, um mit ihm immer noch um sich greifende Ismen wie Rassismus, Sexismus oder Nationalismus zu bekämpfen. "Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram. Wir sind nicht am Ende. Wir fangen an", gemahnt Knarf Rellöm in der Zugabe.

Dass Viktor Marek den Text auch auf Italienisch singt, ist allerdings keiner internationalen Arbeiterbewegung geschuldet, sondern Mareks Leidenschaft für italienischen Kaffee. Schließlich ist der Sozialismus der A Tribe Called Knarf, wie sich das Trio mit stets wechselndem Namen derzeit in Anlehnung an eine New Yorker Hip Hop-Gruppe nennt, ein betont lustvoller. Die Musik der Gruppe ist ganz im Sinne William Shakespeares der Liebe Nahrung, und im Sinne des gleichfalls zitierten Sun Ra der Sprit für Raumschiffe.

So beiläufig und unterhaltsam die Show den Hamburgern gelingt, so klug inszeniert ist sie. So verbinden etwa die Worte "Ich träumte, das Leben sei ein Traum", mit denen Rellöm das Konzert eröffnet, unbemerkt den bengalischen Literatur-Nobelpreisträger Rabindranath Thakur mit dem zeitgenössischen Dichter Aron Manfeld. Und ein bisschen Dylan schwingt auch mit, wenn DJ Patex singt, dass sie wie eine Frau gehe und wie eine Frau rede. Anders als bei Dylan, der hinter der starken Frau ein kleines Mädchen erkannte, betont DJ Patex aber, dass sie ein Mann ist. Erst jetzt fallen Mareks Frauenschuhe auf. Und auch Knarf Rellöm, der sich während des Liedes schminken lässt, hatte vor dem Konzert wohl doch absichtlich die Damentoilette aufgesucht. So war also schon das Vorspiel Teil des Stücks.

© SZ vom 15.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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