Kurzkritik:Liebevoll

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Mark Forster beruhigt sein erschrecktes Tollwood-Publikum

Von DIRK WAGNER, München

Die weltbesten Musiker hätten ihn auf seinem neuen Album unterstützt, erzählt der deutschsprachige Sänger Mark Forster seinen Fans stolz. Aber keiner von ihnen stünde nun auf der Bühne in der Tollwood-Musikarena. Weil aber diejenigen, die stattdessen auf der Bühne stehen, so großartig spielen, dass allein schon ihr Bläser-Set den Konzertbesuch gelohnt hätte, ist jedem gleich klar: Forster versteht sich auf Scherze.

Seine fröhliche Art gibt ihm auch tatsächlich die richtigen Worte ein, um seine durch die Anschlagsmeldungen im benachbarten Einkaufszentrum verunsicherten Zuschauer zu beruhigen. Er und die Band hätten vor ihrem Auftritt auch überlegt, ob man überhaupt auf die Bühne gehen solle, sagt er. Aber gerade jetzt sei es wichtig, gemeinsam mit allen Besuchern Liebe zu senden. Und die Musikarena sei der beste Platz dazu. Dann bittet er alle, ein entsprechendes Zeichen mit den Händen zu formen. Die kollektive Geste verfehlt ihre Wirkung nicht, zumal sie wohl selten so intensiv ausgeführt wird als in jener angespannten Atmosphäre, in der sich nicht wenige Zuschauer auch persönlich bedroht fühlen. Zwar hatte Tollwood-Sprecherin Christiane Stenzel noch vor Beginn des Konzerts das Publikum zu beruhigen versucht und versichert, für dessen Sicherheit sei gesorgt. Doch die Angst lässt erst nach, als die einnehmende Musik Mark Forsters erklingt, dessen Songs auch die ganz jungen Zuschauer textsicher mitsingen.

Plötzlich ist das Konzert dann doch nur noch ein Konzert. Die Furcht vor einer etwaigen Bedrohung, die Trauer um die Opfer scheinen vergessen zu sein. Stattdessen flutet eine Musik das Publikum, die in ihren eindrucksvollsten Momenten geradezu eine Einheit mit dem Bühnenlicht zu bilden scheint, gerade so als würde die Musik selbst einer aufgehenden Sonne gleich von der Bühne strahlen.

Für die herausragend tolle Akustik ist der Berliner Tontechniker Tilman Hopf verantwortlich, der die vorgegebene Lautstärken-Begrenzung im Tollwood-Zelt mit einer spannenden Dynamik des Sounds umgeht. So klingt Musik also, bevor sie für den MP3-Spieler auf eine einheitliche Lautstärke gemischt wird. Da wird das Ohr in den ruhigen Passagen noch sensibilisiert für den lauten, druckvollen Bläsersatz, der dem live ohnehin recht kraftvoll interpretierten Song "Karton" noch eine weitere Steigerung verleiht.

Kurze Zeit später wird das Konzert doch abgebrochen. Draußen ist alles leer und verlassen. Und erst dann kapiert man: Das Tollwood-Gelände ist längst evakuiert worden.

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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