Kurzkritik:Kühl und kühn

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Zehetmair und Kilius mit wiederentdeckter Moderne

Von Rita Argauer, München

Als jemanden, der das Fahle und Brüchige in sein Violinspiel integriere, beschreibt der Veranstalter Andreas Baumgartner den Geiger Thomas Zehetmair. Doch wenn dieser in den Räumen der Karl-Amadeus-Hartmann-Gesellschaft Hartmanns zweite Violinsonate aufführt, ist sein Ton eher durchdringend, fordernd und zum zerreißen gespannt unter den gegensätzlichen Ausdrucksweisen, die dieses Stück verlangt. Es ist ein intimer Rahmen, man sitzt auf einer Ebene mit den Künstlern, es gibt keine Bühne. Mal gibt es dort Musik von Nachwuchskomponisten, mal Konzerte mit bekannten Künstlern wie Zehetmair und der Bratschistin Ruth Kilius, die die Musik von Hartmann und dessen Zeitgenossen wiederaufführen.

Ein bisschen ist dieser Abend auch eine Feier der wiederentdeckten Werke der Moderne. Man eröffnet mit Gideon Kleins "Duo im Vierteltonsystem", geschrieben 1940, aber erst 1990 wiederentdeckt. So auch Hartmanns Sonate, die dieser 1927 mit 22 Jahren komponierte, die aber von Zehetmair selbst erst 1987 uraufgeführt wurde. Beide Musiker spielen an diesem Abend generell nach vorne und drängend. So erklingt Kleins Duo, das zwischen folkloristischer Wehmut, ironisch klassizistischen Zitaten und tonaler Verweigerung schwankt, fassbar und mit einem Höchstmaß an einladender Zugewandtheit.

Anders ist Bernd Alois Zimmermanns Bratschen-Sonate "... an den Gesang eines Engels". Ein kühles Stück, voll stechender Pizzicati und beinahe aggressiver Theatralität, dem Ruth Kilius eine schneidende Präzision verleiht. Bohuslav Martinůs drei Madrigale von 1947 erstrahlen anschließend hingegen voll Euphorie: Barock-Zitate treffen auf Tänzerisches und erneut auf den drängenden Ton und den direkten Ausdruck von Kilians und Zehetmairs engem Zusammenspiel. Der schönste Effekt ist jedoch, dass nach diesem Abend verschiedene Werke, die um die größten Gräuel des 20. Jahrhunderts entstanden sind, voller Wärme und zeitgeschichtlichem Bezug verständlich werden.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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