Kurzkritik:Kraft und Melancholie

Lesezeit: 1 min

"Ndam Se Na" aus dem Tschad in den Kammerspielen

Von Rita Argauer, München

Menschliche Tragödien und Schicksale zum Inhalt eines Theaterabends zu machen, das kann oft ins schwer Therapeutische kippen. Dann ist das zwar sinnvoll, dass sich jemand dieser Themen angenommen hat, die ästhetische Erfahrung rückt jedoch hinter Betroffenheit zurück. Wenn der tschadische Choreograf Taigué Ahmed mit seiner Kompanie "Ndam Se Na" die Eindrücke, die er und die Tänzer in den Flüchtlingscamps ihrer Heimat als Außenstehende machten, an den Münchner Kammerspielen als das einstündige Stück "Waignedeh/Morgen" zeigt, gelingt Erstaunliches: Aus der schweren Thematik wird Kunst. Und zwar solche, die den Zuschauer mitreißt und berührt, erschreckt und aufwiegelt. Also, das, was Kunst im besten Fall so macht.

Das liegt auch an den beeindruckenden Tänzern: Denn Djedonang Aimé, Jamal Noudjingar Theodore, Mintya Charly, Dakanga Hervé und Mahmat Saleh Koumbo treiben mit präzisester Technik durch verschiedene Stile, die von abstrakten Modern-Bewegungen über verwischte Klassik-Anleihen zu Saturday-Night-Fever- und Riverdance-Persiflagen sowie Boygroup-Formations-Tanz führen. Der Choreograf Ahmed hat da sanft narrative Elemente eingeflochten. Etwa signal-orange Planen, die zum Zelt, zum Lagerfeuer oder zum beklemmenden Symbol für Atemnot werden. Dazu finden sich in der Choreografie immer wieder Gesten, die sich in den Geflüchteten-Kontext hineindeuten lassen: etwa eine Bewegung, die an die muslimische Gebetshaltung erinnert. Oder ein Chor, in dem die fünf Tänzer bis zur Erschöpfung ein Volkslied singen.

Doch es bleibt abstrakt und die Einzelschicksale finden so ihre Entsprechung in einer ästhetisch reifen Kunstform. Gegen Ende liest einer der Tänzer eine Reihe an Namen vor. Hier kommt die Realität hinter dieser Kunst nahe, hier erstarkt beides noch einmal mehr, bevor sich in einem Finale voll Kraft und Melancholie noch einmal ein ganzes Spektrum der Menschlichkeit zeigt.

© SZ vom 15.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: