Kurzkritik:Knuddel-Russe

Lesezeit: 1 min

Wladimir Kaminer liest im Lustspielhaus

Von Thomas Becker, München

Was ist von einem Künstler zu halten, den man bei Gigolo Enterprises und King Kom Konzerte buchen kann? Genau: Der Typ muss Humor haben. Hat er auch, dazu noch Charme, einen putzigen Slang und rein phänotypisch ein bissl was von Clooney. Es kommt einiges zusammen bei Wladimir Wiktorowitsch Kaminer, dem Vollprofi unter den Lesereisern. Bis Jahresende hat er zwischen Helsinki und Sindelfingen noch 41 Lesungen im Dienstplan, und jede Wette, dass ihn alle 41 Publikümer lieben werden! Vor diesem Knuddel-Russen muss sich niemand fürchten. Der will nur lesen.

Nachdem er 1990 in Moskau 96 Rubel für die Zugfahrt nach Berlin ausgegeben hat, ist Kaminer anscheinend noch auf dem Bahnsteig zum Literaten mutiert, denn seitdem hat er 26 Bücher geschrieben, eins erfolgreicher als das andere. Im Lustspielhaus stellt er Nr. 27 vor: "Meine Mutter, ihre Katze und der Staubsauger - ein Unruhestand in 33 Geschichten". Ist natürlich auch lustig, kurzweilig und nett, was gar nicht böse gemeint ist. Böse kann man ihm eh nicht sein.

Um die Mutter geht es also zumindest im ersten Teil des Abends, wie Kaminer sagt: "Damit Sie das Buch in der Pause auch gleich kaufen können." In der Tat wird der beachtliche Bücherberg im Foyer bei seiner Signiersession in der halbstündigen Pause dann niedergekauft. Kaminer weiß, was ankommt. Und er kann verkaufen: Er wechselt fließend zwischen Lesung und Plauderstunde, streut einen Kosmonautenwitz ein, geht von Mamas Sprech-Staubsauger und ihrer Killerkatze nahtlos zur Grießbrei-Intoleranz über, rekurriert auf das Vorgängerbuch, in dem es um die Pubertät ging (gibt's natürlich auch im Foyer) und macht schon mal Lust auf sein nächstes Projekt: Flüchtlinge. Er sagt: "Man muss über die Tragödien lachen lernen." Nach ein paar Geschichten von "seinen Syrern" in der brandenburgischen Provinz geht man die nächste Wette ein: Auch dieser Kaminer wird sich verkaufen wie geschnitten Brot.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: