Kurzkritik:Kämpferisch

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Baba Zula vereint im Ampere Orient und Okzident

Von Dirk Wagner, München

"Ach du meine Goethe", mag mancher Kulturwächter angesichts solcher Erkenntnis des Dichterfürsten denken: "Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen". Besonders radikale Bewahrer einer fremdenfeindlichen Monokultur könnten kampfbereit hinzufügen: "Nur über seine Leiche". Doch Goethe ist bereits tot. Was jedoch lebt, ist die von ihm attestierte Untrennbarkeit von Orient und Okzident, die auch die türkische Rockband Baba Zula im Ampere zelebriert. Mit orientalischen Instrumenten wie der elektrischen Saz, der elektrischen Oud und der mit allen zehn Fingern geschlagenen Bechertrommel Darbuka kombiniert die diesmal als Quartett auftretende Band aus Istanbul orientalische Musik mit westlicher Rockmusik, die der psychedelischen Musik der Endsechziger entlehnt zu sein scheint.

Entsprechend sehen die Musiker auch aus, als seien sie einschlägigen US-Formationen wie Frank Zappas Mothers of Invention oder den Grateful Dead entstiegen, um nun deren Sounds mit den spannend vielseitigen Klängen ihrer Heimat am Bosporus zu bereichern. Das schmeckt übrigens auch den dortigen Verfechtern eines ausgrenzenden Kulturbegriffs nicht. Einige deuten es darum auch als Auswirkung der dortigen Regierungspolitik, dass das Jubiläumsalbum XX zum zwanzigjährigen Bestehen der Band um den Perkussionisten und Elektroniker Levent Akman und den Sänger und Saz-Spieler Murat Ertel nicht in der Türkei erscheint.

Sollte die doch sehr allgemein gehaltene Beschreibung von verlogenen machtgierigen Politikern im auch live gespielten Song "Aşıkların Sözü Kalır" ernsthaft genügen, um in Erdoğans Türkei Repressionen zu befürchten? Die Zuschauer, die die türkischsprachigen Texte verstehen, feiern den Song jedenfalls als ein überfälliges Bekenntnis. Doch augenblicklich versinkt selbst solches Aufbegehren in einen mitreißenden, weltumspannenden Sound, der Orient und Okzident vereinigend über jede Tagespolitik erhaben ist.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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