Kurzkritik:Im Kokainregen

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An der Berliner Volksbühne nimmt sich Sebastian Klink mit ein paar Schauspieler-Desperados DJ Stalingrads Roman "Exodus" vor.

Von Peter Laudenbach

Inzwischen lebt Petr Silaev im finnischen Exil und arbeitet als Taxifahrer. Unter seinem Nom de Guerre DJ Stalingrad gelangte der Moskauer Anarchist vor vier Jahren zu einigem Ruhm: Die russischen Sicherheitsorgane ließen ihn mit internationalem Haftbefehl suchen. Sein Roman "Exodus" (auf Deutsch erschienen bei Matthes & Seitz) verband in bester Poète-maudit-Tradition enthemmte Amoklauf-Fantasien, Verachtung für das Putin-Regime und Ekel vor der westlichen Dekadenz. Kein Wunder, dass Frank Castorf vor Kurzem Passagen daraus in seine "Brüder Karamasow"-Inszenierung montierte. Die wütenden Ausfälle des Moskauer Underground-Dichters wirkten wie eine direkte Fortschreibung Dostojewskis in die Gegenwart. Jetzt widmet Sebastian Klink dem Roman einen ganzen Volksbühnen-Abend.

Klink versucht erst gar nicht, die Romanhandlung nachzuerzählen. Lieber dockt er an die Haltung der Hassgesänge an - eine spätromantische Feier der Selbstzerstörung aus dem Geist der Fundamentalopposition gegen so ziemlich jedes Ordnungssystem. Während die Desperados (Margarita Breitkreiz, Alexander Scheer, Rouven Stöhr, Patrick Güldenberg) durch den Innenraum der Volksbühne toben, sieht man auf dem Videoscreen, wie Heroin für den nächsten Schuss aufgekocht wird. Für hart geknüppelten Trash Metal sorgen The New World Order, die, als wäre die Band ein gefährliches Raubtier, auf der Bühne in einen Käfig gesperrt ist, an dessen Gittern Alexander Scheer (noch so ein gefährliches Bühnenraubtier) gerne hochklettert. Es gibt eine dekorative Kreuzigungsszene. Jemand behauptet, dass der Teufel nicht schläft, aber der Teufel ist das kleinste Problem dieser postsowjetischen Lost Generation: "Wir kauen keinen Kaugummi, wir kauen den Schmerz, der zieht uns ins Grab." Zum Trost, oder damit es auf dem Weg ins Grab schneller vorangeht, regnet es Kokain von der Decke. Berliner Theater-Kaputtheiten sahen auch schon mal gefährlicher aus.

© SZ vom 31.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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